Predigt am Ersten Adventssonntag (Lesejahr C, 1.12.2024)

von P. Abraham Fischer OSB

Seit ich vor einem Jahr  Bahn-Pendler zwischen Hannover und Meschede geworden bin, ist das Warten zu einem ständigen Thema geworden und ich konnte so meine Beobachtungen über mich und andere machen.

Da gibt es geduldiges Warten. Man weiß, dass etwas kommt und vertreibt sich behaglich die Zeit bis zum Eintreffen des Ereignisses.

Dann gibt es das ungeduldige Warten. Wir fiebern auf etwas zu. Können es eben gar nicht abwarten. Das kann mit einem freudigen Ereignis zusammenhängen. Feste und Geburtstage. Situationen, die mit einem Beschenkt-Werden zusammenhängen, Pakete und anderes erwartet man ungeduldig.

Es gibt das bange Warten. Auf die Diagnose nach einer wichtigen Untersuchung warten wir ungeduldig und verängstigt. Manchmal bringt das Erlösung, mitunter bestätigt sich das Unheil.

Es gibt das wütende Warten. Jemand kommt zu spät – am besten jemand, der immer zu spät kommt – und wir finden uns in einer Situation der Unfreiheit vor.

Es gibt auch das im wahrsten Sinn des Wortes gespannte Warten, wie wir es bei den Sprintern in den Blöcken vor dem Startschuss beobachten können. Alles ist angespannt, um sofort loszurennen.

Obwohl sich die emotionalen Stimmungen der verschiedenen Situationen sehr unterscheiden, haben sie eines gemeinsam. Beim Warten geht es um eine Tatsache, die sich der Zukunft abspielen wird, die sich aber angekündigt hat. Warten erfüllt sich. Dann löst sich eine Spannung auf. Warten fällt uns schwer, weil wir es als eine Art der Unfreiheit wahrnehmen. Wir können nichts tun, sind Umständen ausgeliefert, die wir nicht wirklich beeinflussen können.

Warten hat auch etwas mit Zeit zu tun. Manchmal kennen wir den Zeitpunkt der Erfüllung, anstrengender ist aber ein Warten sozusagen ohne Termin. Ob das Stunden oder Tagezählen das Warten erleichtert, ist eine je persönliche Sache. Dafür haben wir ja zum Beispiel Adventskalender, um die 24 Tage auf Weihnachten hin abzählen zu können und uns den Weg und die Zeit zu versüßen.

Wir beginnen den Advent. Eine Zeit spirituellen Wartens. Es stellt sich natürlich die Frage, was hier das Warteziel ist. Das Wort sagt schon einiges: Adveniere – ankommen. Da kommt etwas, da kommt jemand an. Die Zeitspanne ist ebenfalls genau bestimmbar. Das Erwartete trifft am 24.12. nachts ein: Weihnachten. Wenig spannend für uns Erwachsene – Kinder sind da anders unterwegs. Für sie ist der Advent ein angespanntes Warten. Bis endlich Weihnachten ist und der Baum glitzert.

Aber nur gewohnheitlicher Advent? Reicht das? Jedes Jahr dieselbe Leier? Daher möchte einmal darüber nachdenken, auf was wir im Advent überhaupt warten? Und tiefer was ist Warten im Advent?

Vielleicht aber ist es ja so, dass es gar nicht um Weihnachten als Datum geht, sondern dass der Advent uns eine andere, besondere Form des Wartens nahebringen will.

Adventliches Warten ist bezogen auf etwas, das schon längst da ist, aber noch nicht sichtbar werden konnte. Wir üben im Advent eine völlig neue Art des Wartens. Wir wissen, dass etwas kommen wird, UND: das ist der Unterschied: Es wurde angekündigt, dass das, was kommen wird, schon längst da ist, aber eben auch noch nicht.

So wie in einem Samenkorn die ganze Pflanze schon da ist und in jeder Keimzelle der ganze Mensch programmiert ist, so ist weder die Pflanze noch der Mensch sinnlich erfahrbar, Wohl aber liegen alle Informationen vor. Wir sehen den Bauplan des Hauses und sehen genau, was da kommen wird, und dennoch stehen wir trotzdem quasi im Regen.

Architekten sind geübt im Bauplanlesen. Daher können sie sich das Haus gut vorstellen. Dazu haben sie viele Zeichnungen angeschaut in die spezielle Sprache geübt, die man verstehen muss, um einen Plan zu lesen und die darin enthaltenen Informationen zu verstehen.

Wenn wir nun sagen, wir könnten uns die Ankunft des Christus nicht vorstellen, dann sagen wir im Grunde nur, dass wir die Sprache, die diese Ankunft beschreibt, nicht entschlüsseln konnten.

Und genau das üben wir im Advent. Wir lernen die Sprache Gottes in unserer Welt. Wir hören die alten Geschichten immer wieder und vertiefen die Grammatik und die Vokabeln, mit denen die Ankunft Gottes beschrieben wird. Und jedes Jahr – daher die sinnvolle Wiederholung der liturgischen Zeiten – können wir ein wenig mehr verstehen, wie das mit der Ankunft Gottes vor sich geht. Was es bedeutet, dass Gott uns Menschen so nahekommt, dass wir ihn essen und schmecken und riechen und tasten und hören und spüren können. Was es bedeutet, dass er unter uns Menschen gewohnt hat und dass er das immer wieder tut: Emmanuel – unser Gott mit und unter uns.

Viele Menschen meinen, Gott wäre fern und weit weg. Das ist eine Wahrnehmung. Oder ist es vielleicht umgedreht auch so, dass wir Menschen weit weg von Gott sind, weil wir die Grammatik seines Daseins nicht mehr lesen und entschlüsseln können? Dann würde Advent nicht nur bedeuten, dass Gott auf der Erde, dass Gott bei den Menschen, dass Gott bei mir und bei Dir ankommt, sondern, dass auch wir bei uns selbst, in unserem Herzen und zugleich bei Gott ankommen. Es muss keinen Widerspruch zwischen Gott und Mensch geben. Dann spüren und schmecken wir nämlich, dass alle Menschen sehnsüchtig warten, dass wir uns selber wahrnehmen als Menschen, die suchen und die mit allen Sinnen wartend ausgestreckt sind. Warten ist eine Haltung prinzipieller Offenheit.

Doch weiter im Bild der Sprache:

Gott hat uns geschaffen und genauso gewollt, wie wir jetzt sind, ohne Einschränkung und Bedingung. Wenn wir die Sprache Gottes lernen wollen, dann beginnen wir am besten damit, die schwierigste und zugleich leichteste erste Vokabel seines Daseins zu üben: Das Wort „Ja“. Ja sagen zur Welt, Ja sagen zur Schöpfung, Ja sagen zum Menschen, Ja sagen zu sich selbst und – so schmerzhaft das auch zu sein scheint- Ja-Sagen zum Schicksal.

Ich meine hier nicht das belanglose Ja-und-Amen-Sagen, sondern hier strahlt die dem Wort „Ja“ innewohnende und die sich nur aus ihm entfaltende Grundkraft des Daseins auf: die Liebe.

Deshalb kann es eine Botschaft des Adventes sein: Wo wir lieben spricht Gott. Wo wir lieben, da erscheint er in der Welt. Wo wir lieben, da verstehen endlich wir die Ur-Sprache Gottes.

Aber nicht nur das. Wo immer Liebe geschieht, egal wie heroisch, wie alltäglich, wie scheiternd, wie erfüllend. Wo immer auch Liebe Wirklichkeit wird, da sprechen endliche Menschen die Sprache Gottes

…. Und da hat der Advent sein Ziel: Gott kommt an.

Glauben wir das und üben wir das im Advent immer wieder.

Jetzt hier gleich und in der Ewigkeit. Amen.