Mitten im Leben glauben
Eine Sache des Vertrauens – mitten im Leben glauben. So heißt ein kürzlich im Bonifatiusverlag erschienenes Buch des Paderborner Studierendenseelsorgers und Dompastors Nils Petrat, aus dem er am Abend des 10. November 2021 auf Einladung des Abteiladens im AbteiForum der Abtei Königsmünster einige Passagen las und mit den Zuhörenden ins Gespräch kam. Der 1980 in Datteln geborene und in Castrop-Rauxel aufgewachsene Pfarrer ist einem größeren Publikum durch das „MOTZmobil“ des Fernsehsenders Pro7 bekannt, mit dem der auf alltägliche Lebensfragen aus der Perspektive des Glaubens Antwort zu geben versucht.
Der Anlass für ihn, das Buch zu schreiben, sei zunächst ein persönlicher gewesen, erzählte Petrat am Beginn der Lesung. Für ihn sei das Buch eine Art persönlicher Standortbestimmung: „Wo stehe ich auf meinem Glaubensweg, in meiner Kirche?“ Nüchtern-realistisch beginnt er mit einem Faktencheck. Die Frage der Moderatorin Bettina Böttinger an ihre Talkshowgäste „Woran glaubst du?“ und die Antworten ihrer Gäste habe ihn zum Nachdenken gebracht. Antworten wie „Ich glaube an das Universum oder eine kosmische Energie“ haben zu großem Applaus aus dem Publikum geführt; als jemand aber sagte: „Ich glaube an Gott“, war es erst einmal still im Saal. Die Rückfrage der Moderatorin, wie man denn bei dem aktuellen Zustand der Kirche noch an Gott glauben könne, mache deutlich, wie sehr der Vertrauensverlust der Kirche auch die Frage nach dem Glauben beeinflusse. So betonte Pfr. Petrat: „Wenn wir nicht in der Missbrauchsaufarbeitung und der Heilung der Wunden vorankommen, dann ist diese Kirche nicht mehr zu retten.“ Durch die Pandemie seien zudem all diese Fragen noch verschärft worden – für viele Menschen sei die Kirche schlicht irrelevant. Um so mehr betont Nils Petrat, dass er das Evangelium und die Person und Botschaft von Jesus Christus für absolut vertrauenswürdig halte, denn hier werde dem großen Nein unserer Zeit ein bedingungsloses Ja entgegengehalten. Er bemühe sich daher darum, nicht nur zu dekonstruieren, sondern Kirche neu zu konstruieren: „Wie kann man – auch in dieser Kirche – Gott erfahren?“ Letztlich ermutigt er die Menschen zu einer persönlichen Gottesbeziehung, die einen gemeinschaftlichen Aspekt einschließe: „Glauben ist eine Sache zwischen dir und Gott“, brauche aber eine Gemeinschaftsform. Und er spricht den Zuhörenden zu: „Ich würde mir von der Kirche den Glauben nicht kaputtmachen lassen.“
Für Petrat sei es wichtig, das Gottesgespür der Menschen ernst zu nehmen. Mit Augustinus spricht er vom Gefühl eines unruhigen Herzens. „Da ist so eine Ahnung“ – so überschreibt er ein Kapitel seines Buches. Es handele sich um ein „lebensbegleitendes Hintergrundrauschen“, oder mit den Worten des Dichters Paul Claudel: „In mir lebt etwas, das mehr ist als ich selbst.“ Die biblische Erzählung der Gottesbegegnung des Propheten Elija aus dem 1. Buch der Könige sei für ihn eine Beispielgeschichte, wie sich dieser „Gotteshauch“ zeige – oft eher sanft und leise, in der „Stimme verschwebenden Schweigens“, wie Martin Buber übersetzt. Am Ende dieser Erfahrung verkrieche sich Elija nicht mehr, sondern stehe vor der Höhle, bereit zum Aufbruch und zu neuen Wegen (vgl. 1 Kön 19,13).
Ein Türöffner in neue, innere Räume ist für den Autor die Musik – nicht nur die klassische, sondern für viele jüngere Menschen auch die moderne Musik der Popkultur. Ein Lied z.B. der Gruppe „Silbermond“ könne ein Augenöffner sein und „Offenbarungsmomente im Alltag“ bieten. Petrat erwähnte dabei auch die Bücher des Geigenbauers Martin Schleske, der vor einigen Jahren auch schon in der Abtei Königsmünster zu Gast war. Er sieht den Geigenbau als Metapher für den inneren Glaubensweg, für die Herausbildung des je eigenen Klangs im Leben eines Menschen.
Bei der anschließenden lebendigen Diskussion mit dem Publikum kam auch das biografische Element seines Glaubensweges zur Sprache. „Alles hängt davon ab, wem ich begegne.“ Für Nils Petrat war es seine Jugend im Ruhrgebiet, die ihn geprägt hat, nächtliche Gespräche mit Freunden, bei denen es um die wichtigen Themen des Lebens und Glaubens gegangen sei. Auch die Begegnungen während seines Studiums in Rom wie auch viele seelsorgliche Gespräche während seiner Zeit in Hüsten und Paderborn haben ihn auf seinem Glaubensweg geprägt – bis heute. All seine Erfahrungen wird er in Zukunft in seine neue Aufgabe bei den Jesuiten in Frankfurt einbringen, wo er in der Berufungspastoral arbeiten wird, um gerade junge Menschen auf ihrem Glaubensweg zu begleiten. Dabei wünschen wir ihm weiterhin Gottes Segen und bedanken uns für den anregenden Abend!