Es erging das Wort des HERRN der Heerscharen: So spricht der HERR der Heerscharen: Mit großem Eifer trete ich ein für Zion und mit großer Zornglut setze ich mich eifersüchtig für es ein. So spricht der HERR: Ich bin nach Zion zurückgekehrt und werde wieder in der Mitte Jerusalems wohnen. Dann wird Jerusalem Stadt der Treue heißen und der Berg des HERRN der Heerscharen Heiliger Berg. So spricht der HERR der Heerscharen: Greise und Greisinnen werden wieder auf den Plätzen Jerusalems sitzen; jeder hält wegen des hohen Alters seinen Stock in der Hand. Und die Plätze der Stadt werden voller Knaben und Mädchen sein, die auf ihren Plätzen spielen. So spricht der HERR der Heerscharen: Wenn das zu wunderbar ist in den Augen des Restes dieses Volkes in jenen Tagen, muss es dann auch in meinen Augen zu wunderbar sein? – Spruch des HERRN der Heerscharen. So spricht der HERR der Heerscharen: Seht, ich befreie mein Volk aus dem Land des Sonnenaufgangs und aus dem Land des Sonnenuntergangs. Ich werde sie heimbringen und sie werden in der Mitte Jerusalems wohnen. Sie werden mir Volk sein und ich werde ihnen Gott sein in Treue und in Gerechtigkeit. (Sach 8,1-8)

„Mit großem Eifer trete ich ein für Zion
und mit großer Zornglut setze ich mich eifersüchtig für es ein.“

So heißt es in der heutigen Tageslesung.
Kann das denn wahr sein?
Ein eifernder, zorniger, eifersüchtiger Gott?
Der „mit großer Zornglut“ handelt?

Reicht es nicht, wenn überall Menschen eifersüchtig und mit rasendem Zorn handeln?
Sehen wir nicht die Zerstörungen, die ein rasender Eifer auf der Welt anrichtet?
Und spricht nicht auch Benedikt in seiner Ordensregel von einem „bitteren Eifer, der von Gott trennt und in die Hölle führt“? (vgl. RB 72)

Der Zorn Gottes ist die andere Seite seiner Liebe.
Weil Gott sein Volk, uns, mich so liebt,
deshalb setzt er sich mit Eifer und Zornglut für sein Volk, uns, mich ein.
Das ist der „gute Eifer“, von dem Benedikt auch spricht, „der zum ewigen Leben führt“.

Leidenschaftslosigkeit ist für Gott keine Tugend, wie sie es für die Stoiker war.
Leidenschaft hält uns lebendig.
Und sie entspricht einem Gott, der sich leidenschaftlich, mit brennender Liebe für mich einsetzt.

Wagen wir es heute einmal, unsere Leidenschaften zuzulassen!

P. Maurus Runge OSB

Auf, auf! Flieht aus dem Land des Nordens – Spruch des HERRN. Denn wie die vier Winde des Himmels habe ich euch zerstreut – Spruch des HERRN. Wehe, Zion, die du bei der Tochter Babel wohnst, rette dich! Denn so spricht der HERR der Heerscharen – um der Ehre willen hat er mich gesandt – gegen die Völker, die euch ausgeplündert haben: Wer euch antastet, tastet meinen Augapfel an. Ja, jetzt hole ich mit meiner Hand zum Schlag gegen sie aus, sodass sie eine Beute ihrer eigenen Knechte werden. Und ihr werdet erkennen, dass der HERR der Heerscharen mich gesandt hat. Juble und freue dich, Tochter Zion; denn siehe, ich komme und wohne in deiner Mitte – Spruch des HERRN. An jenem Tag werden sich viele Völker dem HERRN anschließen und sie werden mein Volk sein und ich werde in deiner Mitte wohnen. Dann wirst du erkennen, dass der HERR der Heerscharen mich zu dir gesandt hat. Der HERR aber wird Juda in Besitz nehmen als seinen Anteil im Heiligen Land. Und er wird Jerusalem wieder auserwählen. Alle Welt schweige in der Gegenwart des HERRN. Denn er tritt hervor aus seiner heiligen Wohnung. (Sach 2,10-17)

„Alle Welt schweige in der Gegenwart des Herrn.“ An diesem Satz aus der heutigen Tageslesung bleibe ich hängen. Nach der Rettung Israels aus dem Exil Babels, ein Tag, der für Israel wahrlich ein Tag des Jubels und der Freude war, wird Gott kommen und in der Mitte Jerusalems wohnen – auf dem Zionsberg, wo zur Zeit Sacharjas gerade der Tempel wiederaufgebaut wird.

Aber wenn Gott kommt, wenn er „aus seiner heiligen Wohnung hervortritt“, dann soll alle Welt schweigen in der Gegenwart des Herrn. Dann braucht es keine Worte mehr, dann dürfen wir uns schweigend an der Gegenwart Gottes erfreuen.

Der Advent ist eine oftmals sehr laute und geschäftige Zeit. Das Schweigen kommt in diesen Tagen manches Mal zu kurz. Vielleicht nehmen Sie sich heute im Getriebe des Alltags einmal bewusst einige Momente des Schweigens, um einfach nur da zu sein und zu hören, sich zu erfreuen an der Gegenwart Gottes. Dann nehmen wir vielleicht auch besser wahr, wenn er kommt, wenn er aus seiner heiligen Wohnung tritt und bei uns, bei mir einkehren will.

P. Maurus Runge OSB

Danach erhob ich meine Augen und sah: Siehe, da war ein Mann mit einer Messschnur in der Hand.
Ich fragte: Wohin gehst du? Er antwortete mir: Jerusalem auszumessen, um zu sehen, wie breit und wie lang es ist. Und siehe, da trat der Engel, der mit mir redete, hervor und ein anderer Engel trat auf, ihm entgegen.
Er sagte zu ihm: Lauf und sag dem jungen Mann dort: Jerusalem wird eine offene Stadt sein wegen der vielen Menschen und Tiere in seiner Mitte. Ich selbst – Spruch des HERRN – werde für Jerusalem ringsum eine Mauer von Feuer sein und zur Herrlichkeit werden in seiner Mitte. (Sacharja 2,5-9)

Es gibt Brände, die zerstören alles, was von ihnen erfasst wird: Waldbrände oder Hausbrände, die auf andere Gebäude überzugreifen drohen. Es gibt aber auch gezielt angelegte Feuer, die einen Schutzwall vor dem Übergreifen der Flammen bilden. Sie sollen bewirken, dass große Feuerlawinen, die auf Siedlungen oder Waldstücke zulaufen, dadurch gestoppt werden, dass ihnen die brennbare Nahrung entzogen wird, und erlöschen. Das sind schützende Feuer. Von ihnen ist im letzten Vers die Rede.
Alles Lebendige in dieser Stadt kann sich darauf verlassen, dass sich um die offene Stadt mit ihren Menschen und Tieren die schützende Macht Gottes wie eine Mauer aus Feuer legen wird. Darauf können alle vertrauen, die dort zu Hause sind, so versichert Sacharja. Gerade angesichts unsicherer Zeiten verstehen wir gut, wie wichtig ein solcher Schutz sein kann.

Was ängstigt mich so sehr, dass ich mich völlig schutzlos fühle, von Gefahren umzingelt; was bedrückt mich und entzieht mir die Lebensfreude? Die heutige Lesung möchte darauf aufmerksam machen, dass Du umfangen bist von einer Kraft, an die Du Dich jederzeit wenden kannst, wenn Deine Widerstandskräfte gegen böse Anfeindungen erlahmen, mögen sie von außen oder innen kommen.
„ Den Höchsten hast du zu deinem Schutz gemacht, dir begegnet kein Unheil!“
Psalm 91,9-10

P. Johannes Sauerwald OSB

Der HERR antwortete dem Engel, der mit mir redete, in freundlichen Worten, Worten voll Trost. Da sagte mir der Engel, der mit mir redete: Verkünde: So spricht der HERR der Heerscharen: Mit großem Eifer trete ich für Jerusalem und Zion ein; aber ich bin voll glühendem Zorn gegen die Völker, die sich in falscher Sicherheit wiegen; als ich selbst nur ein wenig erzürnt war, halfen sie dem Unheil nach. Darum – so spricht der HERR: Voll Erbarmen wende ich mich Jerusalem wieder zu. Man wird mein Haus dort aufbauen – Spruch des HERRN der Heerscharen – und die Richtschnur über Jerusalem spannen. Weiter verkünde: So spricht der HERR der Heerscharen: Meine Städte werden wieder überfließen von Gütern. Der HERR wird Zion wieder trösten und er wird Jerusalem wieder auserwählen. (Sach 1,13-17)

In den Visionen das Propheten Sacharja sind mir beim Lesen zwei Sätze in Erinnerung geblieben. Der erste Satz lautet: „Der Herr antwortete dem Engel, der mit mir redete, in freundlichen Worten, Worten voll Trost.“ Und der zweite Satz: „Darum  – so spricht der Herr: Voll Erbarmen wende ich mich Jerusalem wieder zu.“

Trost und Erbarmen sind Schlüsselworte Gottes an den Menschen. Bei allem Versagen und jeglicher Schuld sind das Erbarmen und der Trost Gottes den Menschen gewiss. Im Advent erwarten wir die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus. Die Liebe Gottes, sein Erbarmen und der Wunsch, den Menschen in Not und Leid Trost zu senden, sind so groß, dass Gott uns so nahe kommt, indem er Mensch wird.

Br. Benjamin Altemeier OSB

Im zweiten Jahr des Darius erging im achten Monat das Wort des HERRN an den Propheten Sacharja, den Sohn Berechjas, des Sohnes Iddos: Schwer hat der HERR euren Vätern gezürnt. Deshalb sag zu ihnen: So spricht der HERR der Heerscharen: Kehrt um zu mir – Spruch des HERRN der Heerscharen -, dann kehre ich um zu euch, spricht der HERR der Heerscharen. Seid nicht wie eure Väter, denen die früheren Propheten verkündeten: So spricht der HERR der Heerscharen: Kehrt doch um von euren heillosen Wegen und von euren heillosen Taten! Aber sie hörten nicht und schenkten mir kein Gehör – Spruch des HERRN. Wo sind nun eure Väter? Und die Propheten – leben sie ewig? Meine Worte und meine Gesetze, die ich meinen Knechten, den Propheten, gebot, haben sie sich nicht an euren Vätern erfüllt? Darauf kehrten sie um und sagten: Wie der HERR der Heerscharen geplant hatte, nach unseren Wegen und unseren Taten an uns zu handeln, so hat er an uns gehandelt. (Sach 1,1-6)

In der nächsten Woche lesen wir in unseren täglichen Adventslesungen Texte des Propheten Sacharja. Er ist um das Jahr 520 v. Chr. aufgetreten, zu einer Zeit, als das Volk Israel nach der großen Katastrophe des Babylonischen Exils in sein Land zurückkehren konnte. Das große Projekt, das Sacharja begleitet, ist der Wiederaufbau des zerstörten Tempels – für ihn ein Akt der Umkehr des Volkes Gott gegenüber.

„Kehrt um zu mir, dann kehre ich um zu euch!“ So legt es der Prophet Gott in den Mund. Umkehr ist ein wechselseitiges Geschehen. Nicht nur wir Menschen kehren um zu Gott – auch Gott kehrt um zum Menschen, er wendet sich uns wieder zu, macht einen neuen Anfang mit uns. So wie er einen neuen Anfang mit Israel nach dem Exil gemacht hat, so möchte er auch in diesem Advent mit uns neu beginnen.

Kehren wir heute neu um zu unserem Gott, denn er ist schon längst zu uns umgekehrt!

P. Maurus Runge OSB

Ich komme, um alle Völker und Zungen zu versammeln, dass sie kommen und meine Herrlichkeit sehen. Und ich will ein Zeichen unter ihnen aufrichten und einige von ihnen, die errettet sind, zu den Völkern senden, nach Tarsis, nach Pul und Lud, nach Meschech, Tubal und Jawan und zu den fernen Inseln, wo man nichts von mir gehört hat und die meine Herrlichkeit nicht gesehen haben; und sie sollen meine Herrlichkeit unter den Völkern verkündigen.

Jes 66,18b-19

Sie zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze Bibel:
die Verheißung, dass Gott alle Menschen versammeln will.

„ … so sammle die Menschen
aller Völker und Sprachen, aller Schichten und Gruppen
zum Gastmahl der ewigen Versöhnung in der
neuen Welt deines immerwährenden Friedens
durch unseren Herrn Jesus Christus.“

So heißt es im Hochgebet um Versöhnung.

Wie schön wäre es, wenn das heute schon Wirklichkeit wäre.
Doch wir Menschen gönnen es uns scheinbar nicht,
machen uns das Leben schwer
– im alltäglichen Miteinander
und im Großen des Krieges.

„Mach deine Kirche zum Zeichen der Einheit
unter den Menschen und zum Werkzeug
deines Friedens.“
So beten wir im gleichen Hochgebet.
Doch schon hier gelingt es oft nicht.

Liegt es vielleicht auch daran,
dass wir gerne beim ersten Vers des heutigen Textes hängen bleiben
und nicht den zweiten lesen?!

Wir sollen uns nicht ausruhen und abwarten.
Wir sind gesandt!

P. Guido Hügen OSB

Denn vergessen sind die früheren Nöte, sie sind vor meinen Augen verborgen. Ja, siehe, ich erschaffe einen neuen Himmel und eine neue Erde. Man wird nicht mehr an das Frühere denken, es kommt niemand mehr in den Sinn. Vielmehr jubelt und jauchzt ohne Ende über das, was ich erschaffe! Denn siehe, ich erschaffe Jerusalem zum Jauchzen und sein Volk zum Jubel. Ich werde über Jerusalem jubeln und frohlocken über mein Volk. Nicht mehr hört man dort lautes Weinen und Klagegeschrei. Es wird dort keinen Säugling mehr geben, der nur wenige Tage lebt, und keinen Greis, der seine Tage nicht erfüllt; wer als Hundertjähriger stirbt, gilt als junger Mann, und wer die hundert Jahre verfehlt, gilt als verflucht. Sie werden Häuser bauen und selbst darin wohnen, sie werden Weinberge pflanzen und selbst deren Früchte genießen. Sie werden nicht bauen, damit ein anderer wohnt, nicht pflanzen, damit ein anderer isst, sondern wie die Tage eines Baumes sind die Tage meines Volkes und das Werk ihrer Hände werden meine Auserwählten selber verbrauchen. Sie mühen sich nicht vergebens und gebären nicht für den schnellen Tod. Denn sie sind die Nachkommen der vom HERRN Gesegneten und ihre Sprösslinge sind mit ihnen. So wird es sein: Ehe sie rufen, antworte ich, während sie noch reden, höre ich. Wolf und Lamm weiden zusammen und der Löwe frisst Stroh wie das Rind, doch der Schlange Nahrung ist der Staub. Man tut nichts Böses und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg, spricht der HERR. (Jes 65,16b-25)

In der heutigen Textstelle des Jesaja zum zweiten Advent hören wir die Verheißungen auf die Endzeit hin. Für mich ist es geradezu tröstlich, dass die Vollendung noch aussteht – die Verheißungen, dass Jubel herrsche, dass Friede sei, dass Arglosigkeit nicht vergeblich ist. Wolf und Lamm, Löwe und Rind stehen eigentlich für das Gegensätzliche in der Natur. In der Vollendung aber fällt alles Gegensätzliche ineinander. Und dann der so tröstliche Gedanke im Vers 17: Denn schon erschaffe ich einen neuen Himmel und eine neue Erde. Da klingen die Verse aus der Offenbarung an: Dann sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, auch das Meer ist nicht mehr. (Offb 21,1-2)

Diese Texte höre ich oft bei Beerdigungen. Sie sind Trostworte für die Vollendung eines jeden Menschen, der Gottes Geschöpf ist und bleibt.

Br. Benjamin Altemeier OSB

Hättest du doch den Himmel zerrissen und wärest herabgestiegen…

(Jes 63,19b – ganze Lesung: Jes 63,19b – 64,3)

Zerreiß doch den Himmel und komm doch endlich in diese Welt: So könnte vielleicht ein flehender Ruf heutiger Menschen lauten. Wenn wir auf das Leid so  vieler Menschen schauen, sei es in der Ukraine, im Gaza-Streifen oder anderswo in der Welt, spüren wir in unserem Inneren ein drängendes Flehen zu Gott hin: Zerreiß den Himmel und komm, schreite ein. Ja, uns Heutige umgeben Ungerechtigkeit, Verzweiflung, Krieg, Leid und Schmerz in unserer Welt. Der flehende Ruf des Propheten Jesaja scheint aktueller denn je. Auch in diesem Advent harren wir, dass Gott zu uns kommt; dass er kommen möge mit seiner erlösenden und befreienden Botschaft.

Doch Gott wird als ein kleines und hilfloses Kind in diese Welt kommen.

Vielleicht gerade durch das zerbrechliche göttliche Kind, das unser Friedensfürst ist, erahnen wir die Einladung, dass es auch auf mich persönlich ankommt, hier und jetzt göttliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Friedens, der Gerechtigkeit und des Trostes zu sein.

Fangen wir doch heute an!

Br. Emmanuel Panchyrz OSB

Blick vom Himmel herab und sieh her von deiner heiligen, prachtvollen Wohnung! Wo ist dein leidenschaftlicher Eifer und deine Macht? Dein großes Mitgefühl und dein Erbarmen – sie bleiben mir versagt! Du bist doch unser Vater! Abraham weiß nichts von uns, Israel kennt uns nicht. Du, HERR, bist unser Vater, Unser Erlöser von jeher ist dein Name. Warum lässt du uns, HERR, von deinen Wegen abirren und machst unser Herz hart, sodass wir dich nicht fürchten? Kehre zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Erbbesitz sind! Für eine kurze Zeit haben unsere Feinde dein heiliges Volk in Besitz genommen; dein Heiligtum haben sie zertreten. Wir sind geworden wie die, über die du nie geherrscht hast, über denen dein Name nie ausgerufen wurde. Hättest du doch den Himmel zerrissen und wärest herabgestiegen. (Jes 63,15-19a)

 

Wo steckt Gott?

Das ist eine Frage, die uns Menschen immer wieder beschäftigt. Man kann das aus nüchterner geisteswissenschaftlicher Sicht betrachten und fragen: Wo ist die andere Welt? Und: wenn die Toten wirklich auferstehen: Wo sind sie? Unsere Lieben und die unendlich vielen, die vor uns auf dieser Erde gelebt haben? Gerade auf die letzte Frage können wir nicht mehr distanziert antworten, denn existentiell gefragt, formuliert sich die Frage wohl eher so:

Wo versteckt sich Gott? – Warum lässt er sich nur so schwer finden?

In dieser durch Not verschärften Fragestellung finden wir uns in der Ambivalenz aller Beziehungen wieder. Sie öffnen beide Beziehungsrichtungen: Wie schön und unterstützend ist es, wenn wir Menschen an unserer Seite haben dürfen, die uns unterstützen, die uns begleiten, die uns lieben. Und wie schmerzhaft wird es, wenn solche Menschen fehlen. Nagende Einsamkeitsgefühle, verzweifelte Schreie sind dann unsere Reaktion.

Mit der Gottesbeziehung ist es ebenso. Er fehlt uns. Wir suchen. Und dann machen wir Gott dem Menschen auf unsere Art und Weise gleich. Gott ist nicht mehr Gott, sondern nur noch eine Art „Supermensch“ – besser, schneller, stärker, größer – allmächtig im Menschensinn. Ein Unweg und ein Umweg.

Dabei müssen und können wir Gott nicht uns Menschen vergleichbar machen. Das gelingt nie. Wenn wir wirklich auf die Suche nach dem Anderen, nach dem Eigenen, nach dem wirklich Göttlichen gehen, ändert sich auch die Richtung unserer Frage:

Worin überall steckt Gott?

Die Antwort ist im Grunde einfach und so schwierig zugleich: Er ist überall – der Himmel ist längst zerrissen und Gott ist schon immer in der Welt. Nicht etwa Aufsehen erregend, nicht laut, nicht halbstark, nicht gewalttätig. Gott ist da, wie ein Kind da ist. Hier. Jetzt. Überall. Die andere Richtung ist göttlich: Er ist uns gleich geworden und genau darin offenbart er seine Gottheit. Er ist nicht Superheld-Supermensch, er ist supermenschlich, hat unsere Natur nicht nur angenommen, sondern auf geheimnisvolle Weise vertieft. Er ist einer von uns mitten unter uns. Hier. Jetzt. Überall.

Wir feiern das Marienfest: Gottes Tor unter den Menschen öffnet ihn ins Menschsein hinein.

P. Abraham Fischer OSB

Auf deine Mauern, Jerusalem, habe ich Wächter gestellt. Den ganzen Tag und die ganze Nacht, niemals sollen sie schweigen. Die ihr den HERRN erinnert, gönnt euch keine Ruhe! Lasst ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem festigt und bis er es einsetzt als Ruhm auf Erden! Der HERR hat geschworen bei seiner Rechten und bei seinem starken Arm: Nie mehr gebe ich dein Korn deinen Feinden zu essen. Nie mehr trinken Fremde deinen Wein, um den du dich so gemüht hast.  Die das Korn ernten, sollen es auch essen und den HERRN preisen. Die den Wein lesen, sollen ihn auch trinken in den Vorhöfen meines Heiligtums. Zieht ein, zieht ein durch die Tore, bahnt dem Volk einen Weg! Bahnt, ja bahnt die Straße und räumt die Steine beiseite! Richtet ein Zeichen auf für die Völker!  Siehe, der HERR hat es bekannt gemacht bis ans Ende der Erde. Sagt der Tochter Zion: Siehe, deine Rettung kommt. Siehe, sein Lohn ist mit ihm und sein Ertrag geht vor ihm her! Dann wird man sie nennen Heiliges Volk, Erlöste des HERRN. Und du wirst genannt werden: Begehrte, nicht mehr verlassene Stadt. (Jes 62,6-12)

Wollte ich diese Lesung so verstehen, dass sie den endgültigen Wiederaufbau der Stadt Jerusalem ankündigt, dann hätte sie nichts zu sagen. Jerusalem ist im Laufe der Geschichte schon mehrmals zerstört worden. Sie ist vergänglich wie alle Städte dieser Welt.
Sie steht vielmehr für die gottgewollte Zivilisation der Menschen als einer Gemeinschaft, in der alle Verhältnisse von Gerechtigkeit und dauerhaftem Frieden geprägt sind. Der Prophet sagt: das ist kein Traum, keine Utopie, auch wenn es uns hier auf Erden nicht glückt, dieses Reich der endgültigen, freien Wirklichkeit mit eigener Kraft aufzubauen. Sie existiert in uns als heiße Sehnsucht nach einem erfüllten Leben im echten Miteinander. Das lässt uns keine Ruhe.

Also versuche ich, in dem Text aus dem Buch Jesaja Ansatzpunkte herauszufinden, die mir helfen, meine vom Glauben genährte Sehnsucht zu stärken, dass durch die Ankunft Jesu Christi auch die friedvolle Einheit aller Menschen aufgebaut und verwirklicht wird

Z.B. könnte ein solcher Ansatzpunkt sein:
Gott an die großen Visionen erinnern, die er mir und vielen anderen eingepflanzt hat. Nicht weil er ein schlechtes Gedächtnis hätte, sondern damit er merkt, dass wir ihn ernst nehmen und seinen Versprechen trauen. Nur durch unsere Bereitschaft dazu, auch das uns Mögliche beizusteuern, im täglichen Umgang, in der verlässlichen Beziehung zueinander, im Ertragen der Schrullen usw., und das in enger Verbindung zum gegenwärtigen Christus, werden wir schon jetzt zu Bürgern der Neuen Stadt, die da heißen wird: Begehrte, nicht mehr verlassene Stadt.

P. Johannes Sauerwald OSB