Predigt am 7. Sonntag im Jahreskreis (23.02.2025)

von P. Maurus Runge OSB

Wahlsonntage gehören zu den prägendsten Erinnerungen meiner Kindheit. Ich erinnere mich gut daran, wie ich schon als kleiner Junge am Morgen solch eines Wahlsonntags mit meiner Mutter zum Wahllokal eine Straße weiter ging, das in einer urigen Vorstadtkneipe untergebracht war. Dort angekommen, zeigte sie mir genau, wie der Wahlvorgang funktioniert: vom Abgeben der Wahlbenachrichtigung, der geheimen Wahl in der Stimmkabine, wie das mit der Erst- und Zweitstimme ist, und schließlich dem Einwerfen des verschlossenen Umschlags in die Wahlurne. Mir wurde an diesen Wahlsonntagen deutlich, was es für ein Privileg war, wählen zu dürfen, selbst mitbestimmen zu können, wer in unserem Land politisch Verantwortung übernimmt. Ich erinnere mich auch an lange Wahlabende vor dem Fernseher, wo mit Spannung die erste Prognose um 18 Uhr erwartet wurde und darauf geschaut wurde, ob es die bevorzugte Partei geschafft hat und wie sich der nächste Bundestag zusammensetzte.
Dieses Privileg, wählen zu dürfen, ist mir dann im Laufe der Jahre immer mehr bewusst geworden, vor allem, als ich von Ländern hörte, in denen dieses Privileg nicht existierte. Vor einem Monat stand ich an der innerkoreanischen Grenze und schaute vom demokratischen Süden Koreas in den Norden, also in ein Land, wo keine freien, demokratischen Wahlen möglich sind. Es ist gut, dass wir in unserem Land die Möglichkeit freier Wahlen haben, und ich freue mich darauf, heute mit meiner Stimmabgabe dazu beitragen zu dürfen, dass dieses Privileg auch für die zukünftigen Generationen erhalten bleibt.
Nun haben wir in den letzten Wochen einen kurzen Wahlkampf erlebt, der nichtsdestotrotz sehr heftig und bis an die Grenzen – und manches Mal über die Grenzen des menschlichen Anstands hinaus – geführt wurde. In Wahldebatten wurden Halbwahrheiten in den Raum geworfen, der politische Gegner wurde verunglimpft, und so manches Mal fragte ich mich, wie eigentlich die Parteien nach der Wahl wieder miteinander sprechen, geschweige denn Koalitionen eingehen können.
In den heutigen Lesungen werden uns Beispiele vor Augen geführt, wie Menschen mit Gegnern, mit „Feinden“ umgehen können, die ein Alternativmodell sein können, wie es eben auch gehen kann.
In der Lesung wird uns vom jungen David berichtet, der sich auf der Flucht vor seinem einstigen Förderer und jetzigen erbitterten Gegner, König Saul, befindet. Dieser trachtet David nach dem Leben, will ihn töten, weil er Angst um seine Macht hat. Und da bietet sich David auf einmal eine Situation an, wo er den Spieß umdrehen und Saul töten kann. Und was macht David? Er gebietet seinem Heerführer Einhalt und geht schlicht und einfach weg, ohne Saul ein Haar zu krümmen. David steigt aus aus dem Spiel der Gewalt und lässt den am Leben, der ihn selbst, ohne mit der Wimper zu zucken, vernichten würde. Eine wahrhaft menschliche Größe wird uns da vor Augen geführt.
Auch Jesus ermutigt im Evangelium seine Jünger dazu, anders mit ihren Feinden umzugehen, als man es von ihnen gemeinhin erwarten würde: „Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen; segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen!“ Jesu Forderungen stehen der rein menschlichen Logik von Gewalt und Konkurrenz so sehr entgegen, dass viele diese als „Moral für Schwächlinge“ bezeichnen. Ich glaube allerdings fest daran, dass solche „paradoxen Interventionen“ nichts mit Schwäche und Feigheit zu tun haben, sondern im Gegenteil eine ganz große Stärke und innere Freiheit desjenigen offenbaren, der so handelt. Auch weil unsere normale menschliche Reaktion auf Situationen, in denen wir von anderen Unrecht erleiden, doch eher ganz anders ist: Dem zahle ich es mit gleicher Münze heim! Was erlaubt die sich eigentlich, sich so mir gegenüber zu verhalten? Soll er mal sehen, was er davon hat!
Der jüdische Theologe Pinchas Lapide spricht nicht von Feindesliebe, sondern von Entfeindungsliebe, und spricht dabei etwas Wahres an: Menschen, die ich gemeinhin als Feinde, als Gegner bezeichne, so zu behandeln, dass ich nicht mehr den Feind in ihnen sehe, sondern den Menschen, über den Gott genau so seine Sonne auifgehen lässt wie über mich. Und so möchte ich einmal versuchen, die Weisungen Jesu in unsere Zeit hinein zu übersetzen:
Behandle Menschen, die anderer Meinung wie du sind, nicht als Feinde!
Wenn du das Gefühl hast, dass jemand ungerecht zu dir ist, antworte ihm so, wie er es nicht erwarten würde!
Sag öffentlich nur Gutes über andere, und wenn du Kritik üben musst, tu das so, dass du mit ihm später noch zusammenarbeiten kannst!
Wenn nichts mehr hilft, bleibt dir immer noch das Gebet. Das kann deinen Blick auf den anderen verändern.
Wenn dich jemand ungerecht behandelt, dann handle so, wie es dieser nicht erwarten würde. Überrasche ihn positiv mit deiner Reaktion.
Denk vor allem daran, dass auch der andere seine Wunden und Verletzungen mit sich herumschleppt, so wie du, und dass auch du es nicht magst, wenn andere in deinen Wunden herumstochern.
Spiel dich nicht auf zum Richter über andere, und verurteile niemanden, bevor du seine Motive kennst.
Sei vor allem barmherzig, d.h., zeige Herz, denn auch Gott hat ein Herz für dich. Gib von dem, was du hast und kannst, in Fülle, setz deine Talente und Gaben ohne Hintergedanken ein, und freu dich über das, was der andere hat und kann, über seine Talente und Gaben – dann werdet ihr gemeinsam Großes schaffen.
Und denk immer daran: Du hast die Wahl, dich für Menschlichkeit und Solidarität zu entscheiden – politisch und privat. AMEN.