WIe gewinne ich Energie? (3)
Die benediktinische Tradition hat ein großes Potential, Menschen zu ihren Energiequellen zu führen. P. Klaus-Ludger bezeichnet in seinem Beitrag im aktuellen „Gruß“ das Gebet mit einem Wort des Theologen Johann Baptist Metz als „Unterbrechung“ und beschreibt, welche Chancen für den heutigen Menschen darin liegen können:
Unterbrechung durch Gebet: Eine Chance zur „Resilienz“
von P. Klaus-Ludger Söbbeler OSB, Novizenmeister
„Dem Gottesdienst werde nichts vorgezogen“ schreibt der heilige Benedikt in seiner Klosterregel. Weil dieser Grund-satz so zentral ist, ist er in den Grund-stein unserer Abteikirche gemeißelt. An anderer Stelle der Regel heißt es: „Sobald das Zeichen zum Gottesdienst ertönt ….“. Solche Formulierungen sind zunächst einmal eine massive moralische Ansage an den Mönch, zu den Gebetszeiten in der Kirche präsent zu sein, – wohl aus dem Erfahrungshintergrund heraus, wie schnell auch in einem klösterlichen Alltag Gebet und geistliches Tun ins Hintertreffen geraten können.
Fragen wir noch einen Schritt weiter: Warum legt eine Mönchsregel mit solcher Massivität Wert auf die herausragende Stellung des Gebets? Wohl kaum aus der Vorstellung heraus, dass der in der Bibel beschriebene Gott die Verhaltensmuster einer archaischen Gottheit verkörpert. Solche Gottheiten waren in der Tat so gezeichnet, dass sie Gesang, Riten und Opfer hören, sehen und riechen mussten, um den Menschen gewogen zu bleiben. Nein, hinter der Dringlichkeit klösterlichen Gebets steht nicht die Vorstellung, man könne oder müsse Gott mit Choralgesang erfreuen oder zur Erfüllung eines Anliegens nötigen.
Vielmehr ist Gebet „Beziehungspflege mit Gott“, – in dem gleichen Sinn wie auch jede Beziehung zwischen Menschen durch regelmäßige Begegnung und gemeinsames Tun „gepflegt“ werden muss, um nicht irgendwann zu erlöschen wie ein verglimmender Docht. Wenn ich eine Beziehung pflegen will, muss ich immer wieder das unterbrechen, was vordergründig vielleicht viel wichtiger erscheint, weil es sich lautstärker aufdrängt. Hier liegt der tieferliegende Sinn einer „Disziplin“ des Betens, – dass sie uns darin unterbricht, in totem Aktionismus auf- und schließlich unterzugehen.
Johann Baptist Metz hat formuliert, dass „Unterbrechung die kürzeste Definition von Religion sei“. Liest man die Evangelien unter dieser Perspektive, merkt man, dass Jesus eigentlich unentwegt im Namen Gottes lebensfeindliche Routinen unterbricht, um Platz zu schaffen für die Lebenskraft Gottes:
Deshalb sind entschiedenes Handeln und beschauliche Frömmigkeit keine Gegensätze. Sie gehören zusammen wie die zwei Seiten einer Medaille. Eins ohne das andere ist gar nicht möglich. Doch wie kann dieses Zueinander von „Ora et labora“, von „Kampf und Kontemplation“ gelingen? – Durch Unterbrechung! Damit Leben sich nicht totläuft, braucht es die Unterbrechung. Unterbrechungen können die verschiedensten Formen haben: Jeder braucht die Pause, den Urlaub, um wieder zu Kräften zu kommen. Jeder weiß, wie heilsam eine Unterbrechung ist, die neue Kreativität freisetzt. Nicht zuletzt braucht es auch die – manchmal schockartige – Unterbrechung durch Krankheit oder Scheitern, damit deutlich wird, dass es so nicht weitergeht. Unterbrechungen bedeuten, dass scheinbar selbstverständlich und wie automatisiert ablaufende Vorgänge und Verhaltensmuster auf einmal nicht mehr funktionieren. Man ist gezwungen, selbstkritisch innezuhalten und einen neuen Ansatz zu suchen. Das kann fürchterlich wehtun und enorm anstrengend sein. Aber im Rückblick zeigt sich oft, dass solche Unterbrechungen Sternstunden waren, weil sie sich als die Augenblicke erlebter und gelebter Freiheit erweisen. Sehr prägnant hat das Viktor E. Frankl aus seiner philosophischen und psychologischen Expertise, aber wohl vor allem aus seiner Lebenserfahrung heraus so formuliert: „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl der Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.“ [1]
Die Grundgefährdung, Gefangener von inneren und äußeren Reizen und Reaktion zu werden ohne den „Raum der Freiheit“ als Unterbrechung dazwischen, diese Grundgefährdung hat Angelus Silesius im Auge, wenn er schreibt:
„Halt an, wo laufst du hin?
Der Himmel ist in dir.
Suchst du Gott anderswo,
du fehlst ihn für und für.“[2]
Das von Silesius geistlich grundierte „Halt an, wo läufst du hin?“ hat Johann Baptist Metz auf die schon erwähnte Formel gebracht: „Religion ist Unterbrechung“[3]. Religion hat die Aufgabe, all die scheinbaren Selbstverständlichkeiten zu unterbrechen, die sich einschleichen, wenn sich Teilthemen verselbständigen und der Eindruck entsteht, sie seien – anstelle Gottes – das Ganze:
- Wenn Nationalismus die Existenz des Nachbarn nicht ertragen kann.
- Wenn Corona die Illusion unterbricht, unsere Medizin sei unfehlbar.
- Wenn kurzfristige Wohlstandssicherung in die Klimakatastrophe führt.
- Wenn Macht zum Selbstzweck wird.
- Wenn Menschen missbraucht werden, weil das Gespür dafür verloren gegangen ist, dass der Mitmensch kein Gebrauchsgegenstand, sondern Geschöpf Gottes ist.
- Wenn sich in unserer Kirche althergebrachte Strukturen und hohl gewordene Traditionen so verfestigt haben, dass sie neuem Leben im Weg stehen.
Wenn all diese scheinbaren Selbstverständlichkeiten unterbrochen werden, kann das nicht anders als zutiefst verstörend wirken, aber zerstörend wird es nur da sein, wo Menschen das alles dumpf über sich ergehen lassen oder aggressiv bekämpfen. Dagegen: Wo Menschen nach echter Lebenskraft suchen, ist Gebet ein Ort der „Resilienz“ als Unterbrechung all dessen, was uns entweder lähmt oder zu verbissenen Eiferern macht. Es geht um den freien und klaren Blick für das, was der heilige Benedikt als Zielperspektive für klösterliches, christliches, menschenwürdiges Leben ins 72. Kapitel unserer Regel geschrieben hat:
„So wie es ein aus Verbitterung boshaftes Eiferertum gibt, das die Beziehung zu Mensch und Gott zerstört und in den Abgrund führt, so gibt es auch einen aufbauenden Eifer. Er widersteht sowohl der Selbstgerechtigkeit als auch der Nachlässigkeit und öffnet so den Weg zu Gott und seinem unbegrenzten Leben. Um diesen „guten Eifer“ geht es. Ihn sollen die Mönche üben und stärken, indem sie mit aller Leidenschaft aus seiner Kraft leben und handeln.“
[1] u.a.: https://www.juedische-allgemeine.de/kultur/bei-sich-zu-hause-ankommen/ (16.07.22)
[2] u.a.: Johannes Bours, Halt an, wo laufst du hin – Bildmeditationen, Freiburg 1990, 56 f
[3] u.a.: https://www.feinschwarz.net/religion-als-unterbrechung/ (16.07.22)