Wie gewinne ich Energie? (2)
„Resilienz“ ist ein Schlagwort unserer Tage. Es gibt viele Kurse und Seminare, die sich damit beschäftigen, Menschen „resilienter“, widerstandsfähiger gegenüber Krisen und Schicksalsschlägen zu machen. Letztlich geht es dabei darum, aus welchen Energiequellen ich lebe. Unser P. Vincent beschäftigt sich in unserem aktuellen „Gruß“ mit diesem Thema:
Resilienz in Krisenzeiten – was gibt mir Energie?
von P. Vincent Grunwald OSB, Seelsorger und Mitarbeiter im Gastbereich
Resilienz ist ein Thema, das in der psychologischen Forschung etwa seit den 1950er Jahren ins Blickfeld geriet und das seitdem immer weiter erforscht wird, um das Wissen in der Praxis anwenden zu können, zum Beispiel für Psychotherapeuten. Das Wort Resilienz leitet sich vom lateinischen Wort „resilire“ ab, was so viel wie „zurückspringen“ oder „abprallen“ bedeutet. Ursprünglich wurde der Begriff Resilienz in der Materialkunde gebraucht, um mit ihm zu umschreiben, wie haltbar und belastbar z.B. ein Radiergummi ist.
Das erklärt wiederum, warum der Begriff auch in der psychologischen Forschung verwendet wird: Mit dem Begriff der Resilienz wird die Art und Weise beschrieben, wie Menschen auf Krisen und Schicksalsschläge und große psychische Belastungen reagieren. Die Forscher konnten herausarbeiten, wie unsere Seele es vermag, selbst mit schweren Schicksalsschlägen, Krisen und Katastrophen umzugehen, sodass Menschen daran nicht zerbrechen. Natürlich gibt es Ausmaße von Belastungen, denen unsere Seele nicht gewachsen ist. Und die Traumata bei den Kriegswaisen in der Ukraine etwa sind natürlich nicht mit den Schicksalsschlägen zu vergleichen, die einen im Laufe des Lebens unvermeidbar treffen, wie etwa der Tod von nahen Angehörigen oder auch bestimmte Krankheiten und Krisen im zwischenmenschlichen Bereich (wie z.B. der erste Liebeskummer). Dennoch beschäftigt die Forscher die Frage, warum manche Menschen sich relativ gut von Krisen wieder erholen und den Eindruck machen, dass sie sogar gestärkt daraus hervorgehen und mit neuer Energie und Lebensmut wieder aufstehen und sich nicht unterkriegen lassen. Es gibt dabei mehrere Faktoren, die immer wieder genannt werden:
Ein wesentlicher Punkt ist das eigene Selbstbewusstsein, verbunden mit einer realistischen Einschätzung der eigenen Möglichkeiten und Handlungsspielräume. Entscheidend ist dabei das Bewusstsein der eigenen Würde (Menschen haben im ethischen Sinn keinen Wert, der sich materiell ausdrücken ließe, sondern eine unantastbare Würde), das nicht abhängig ist von äußeren Zuschreibungen oder Faktoren und deshalb auch von Krisen und Schicksalsschlägen nicht dauerhaft erschüttert wird. Die Würde ist unabhängig davon, ob ich vielleicht gerade meinen Arbeitsplatz verloren habe und nun schauen muss, wie ich mich finanziell über Wasser halten kann oder ob mein Körper von Alter und Krankheit gezeichnet ist. Die Würde ist auch dann unantastbar, wenn das Bewusstsein und die Persönlichkeit durch Krankheiten wie z.B. Demenz dauerhaft eingeschränkt werden.
Darüber hinaus scheint ein sehr wichtiger Faktor die soziale Unterstützung zu sein, die resiliente Menschen bekommen und auch annehmen. Sie haben ein soziales Netz aus Angehörigen, Freunden und Kollegen, die auf ihre Weise unterstützend wirken: Das kann sich als Trösten, eine feste Umarmung oder als geduldiges Zuhören ausdrücken oder auch praktisch in der Hilfe dabei, durch Beziehungen und Kontakte einen neuen Arbeitsplatz, einen Facharzt oder einen Pflegedienst zu finden. Es geht nüchtern beschrieben um die Aktivierung und das Bereitstellen von Ressourcen – seien sie zwischenmenschlich oder materiell, sodass neue Handlungsspielräume eröffnet und erschlossen werden können. Ein weiterer Faktor ist das Akzeptieren der eigenen Situation – ein Schicksalsschlag und eine wirkliche Krise verändern das eigene Selbstkonzept, das Lebensgefühl und die Vorstellung und Planung der eigenen Zukunft grundlegend. Es ist auffällig, dass sich resiliente Menschen aber nicht in der Opferrolle einrichten, nicht alle möglichen weiteren Katastrophenszenarien entwerfen und nicht dauerhaft in eine Art Weltschmerz verfallen, sondern mit einer realistisch bis optimistischen Einstellung schauen, wie sie aus der Krise wieder herauskommen und wie das Leben weitergehen kann.
Auch die Theologie beschäftigt sich unter anderen Vorzeichen mit dem Thema Resilienz. Das wird vor allem in der Seelsorge konkret, wo das jahrhundertealte Erfahrungswissen für den religiösen Umgang mit Krisen fruchtbar gemacht werden kann.
Wenn man unter dieser Fragestellung einen Blick in die Bibel wirft, dann fällt mir sofort das Buch Hiob auf: Es beschreibt einen Menschen, dem scheinbar alles genommen wird, der aber trotzdem nicht am Leben verzweifelt und an seinem Elend nicht zerbricht. Oder die Figur des alttestamentlichen Josef, der von seinen Brüdern an die Ägypter verkauft, den Tiefpunkt seiner Existenz in der Dunkelheit der Zisterne erleben muss, aber dennoch später sehr erfolgreich am Hofe des Pharaos eine neue Existenz aufbaut und der am Ende sagen kann: „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk.“ (Gen 50,20)
Ein gläubiger Mensch, der sich in seiner Existenz von Gott gewollt und geliebt weiß, kann seine eigene Würde noch einmal in einem ganz anderen Licht sehen. Als von Gott unveräußerlich zugesprochen, egal was geschehen mag, wird die eigene Würde als unabhängig vom Urteil anderer Menschen erfahren. Religiöse Praxis ist zudem auf Gemeinschaft hin ausgelegt: Sie besteht den Praxistest erst im Umgang mit dem „Nächsten“, also mit den Mitmenschen. Sie bietet im Idealfall in der Vernetzung einer Kirchengemeinde oder einer Ordensgemeinschaft aber eben auch jenes soziale Netzwerk, das einen in der Krise aufzufangen vermag. Fatal ist es allerdings, wenn persönliche Leiderfahrungen und Krisen spiritualisiert werden. Auch kann jeder nur für sich selbst eine religiöse Deutung der eigenen Lebenssituation vornehmen. Mit der Übertragung eigener religiöser Deutungen auf Andere sollte man sehr vorsichtig und behutsam sein. Dennoch spielen der eigene Glaube und mit ihm verbunden natürlich auch der Zweifel eine maßgebliche Rolle dabei, wie Menschen auch in religiöser Hinsicht mit Schicksalsschlägen, Belastungen und Krisen umgehen. So entwickeln und verinnerlichen sie im besten Fall jene unerschütterliche Lebenshaltung, die der Beter des 23. Psalms so ausdrückt: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir.“