Menschen der Hoffnung: die Hirten (24.12.2024)

In dieser Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde.
(aus Lk 2,1-14)

Vor einigen Tagen konnte man im Bayerischen Rundfunk einen Beitrag sehen, wie ein Kamerateam eine Hirtin dabei begleitet, wie sie ihre Schafherde im Münchner Umland in das Winterquartier treibt.  Stolz erzählt sie, dass sie sich keinen anderen Beruf vorstellen könnte und ihre Familie schon viele Generationen Schäfer seien.
Die Welt, durch die sie ihre Herde trieb, war bezeichnend. Es ging durch sonntäglich leere Gewerbegebiete an einem McDonald‘s vorbei, über Autobahnbrücken, bis zum Zielort bei Fröttmaning, wo einst ihre Familie im gleichnamigen Dorf einen Hof hatte. Doch von diesem Dorf steht nur noch eine kleine Kirche. Der Rest musste im letzten Jahrhundert einer immer grösser werdenden Mülldeponie weichen. Mittlerweile ist auch die Deponie wieder verschwunden, alles ist vorbildlich renaturiert. Fröttmaning kennt heute jeder in München als Haltestation der U6, und auch jeder Fußballfan. Denn ein paar Kilometer hinter der kleinen Dorfkirche ragt eine“ neue Kirche“ wie ein großes Luftkissen aus der Landschaft hervor, die „Allianz Arena“.
Hirten gehören zu einem der ältesten Berufe der Menschheit, und auf wundersame Weise hat es dieser Beruf in die Moderne geschafft.
Hirten erzählen uns davon, wie wir Menschen einst als Nomaden umherzogen und dann langsam sesshaft wurden.
Die Geschichte von Kain und Abel berichtet eigentlich davon, welche Konflikte zwischen nicht sesshaften Menschen (Hirten) und sesshaften Menschen (Ackerbau) damals entstanden. Die einen legen ein Feld an, auf dem etwas sprießt und wachsen soll. Und Ziegen oder Schafe entscheiden sich natürlich auf ihrer Suche nach Futter für die die neue leckere Überraschung, wenn es sonst immer nur trockenes Gras gibt.
So war Streit vorprogrammiert und fand sogar einen prominenten Platz in der Heiligen Schrift.
König David war ein Hirte, Moses arbeitet als Hirte, als ihm Gott im brennenden Dornbusch erschien, Jesus ist bekannt als der gute Hirte.
Wir verstehen heute immer noch viele der manchmal archaischen Bilder der Bibel, vieles ist vertraut, und dennoch können wir dabei auch immer wieder Neues, Überraschendes entdecken.
So frage ich mich z.B., ob der Evangelist Lukas ein wenig dabei schmunzelte, als er das Weihnachtsevangelium schrieb. Denn er hat darin einen politischen Witz versteckt. Es ist bezeichnend, dass der Engel Hirten erscheint. Aber eben echten Hirten, deren Ruf nicht der beste war. Die frohe Botschaft wird nicht Kaiser Augustus verkündet, der sich selbst gerne als Hirten der römischen Völker sah. Der Engel hat den „großen Hirten“ bewusst übergangen und landet bei einer kümmerlichen Schar auf dem nächtlichen Feld.
Und hier sind wir auch schon bei der Kehrseite der Medaille. Der Hirte ist ein großes archetypisches Bild, aber der gesellschaftliche Stand von Hirten selbst war nie sonderlich gut, und hinter dem romantischen Bild liegt ein Beruf, der harte Arbeit ist.
Auch unsere Hirtin berichtet davon, wie ihre Arbeit nicht in eine 35-Stunden-Woche passt. Aber aus ihrem Gesicht spricht dabei eine Zufriedenheit, und es ist beruhigend zu sehen, wie sie ihre Herde durch alle Unwägbarkeiten unserer Zeit sicher geleitet. Ein wenig scheint es fast so, dass immer noch ein kleiner Glanz von dem „Fürchtet euch nicht“, das ihre Vorgänger damals in der Heiligen Nacht hörten, bei ihr zu sehen ist.

Br. Balthasar Hartmann OSB