1. Dezember – Über das Warten
Predigt von P. Abraham Fischer OSB im Konventamt am Ersten Adventssonntag 2025
Das Evangelium spricht nicht gerade von einer gemütlichen Adventsstimmung, sondern von der Wiederkehr des Christus. Da es in der Ewigkeit kein Vorher und kein Nachher mehr gibt, fällt dieser Tag in eins mit unserem persönlichen Sterben. Alle Zeitlinien vereinen sich sozusagen in einem Punkt. Das Evangelium kann daher beunruhigen, vielleicht sogar aufwecken aus dem Schlaf der Sicherheit. Worauf warten wir Menschen? Was könnte unser Lebensadvent sein?
Ich möchte mir mit Ihnen heute Gedanken zum Thema Warten machen:
Advent einmal anders:
Über das bange Warten. Auf die Diagnose nach einer Untersuchung zu warten, kann das Herz einschnüren. Wir kennen alle den Satz, dass die Hoffnung zuletzt stürbe. Aber unsere Gefühle und Gedanken sind vorher tausend Tode gestorben. Und wir sind erlöst, wenn das Warten endlich ein Ende hat und wir „Gewissheit“ haben, wie es um uns steht.
Alle, die einen Menschen lieben und um ihn bangen, wissen, wie schwer das Herz wiegen kann und wie lang Nächte werden. Eltern, die auf die aushäusigen Kinder warten. Der Schwerkranke, der auf den Morgen wartet, an dem endlich wieder etwas geschieht. Das Besondere an diesen Wartesituationen ist, dass wir nicht wissen, wann der Zeitpunkt des Eintreffens ist. Wir fühlen uns haltlos und beginnen so etwas wie Ersatzhandlungen, nesteln am Taschentuch herum, drehen Däumchen, gehen wie der Tiger im Käfig auf und ab. Letztendlich sind wir auf uns selbst fixiert, fressen das Leid einsam in uns hinein, bis es uns auffrisst.
Wie schön ist es, wenn uns in diesem bangen Warten etwas ablenkt. Was für ein Segen ist der Mensch an meiner Seite, der da ist und mich und meine Angst aushält. Meist mehr ohne Worte, ohne Ratschläge oder Besänftigung. Das ist der stärkste Dienst aneinander. Sich daneben setzen, Sprachlosigkeit teilen und die Unruhe aushalten.
Früher und auch heute noch beten manche Menschen in durchwachten Nächten. Man kann das belächeln. Vielen aber hat das schon Halt gegeben, wenn die Gebetsschnur durch die Finger gleitet und die Worte mechanisch durch die Seele fließen. Die kleinen Holzperlen an der Kette geben Halt und sie zeigen, dass die Zeit vergeht, und die sich wiederholenden Texte holen das andere ins Bewusstsein. Wir atmen regelmäßiger und die Seele beruhigt sich.
Und dann wäre da noch ein Warten, das wir gar nicht als solches empfinden: Vielleicht deshalb, weil wir dieses Warten „Leben“ nennen.
Das Warten auf den Tod. Ja – sie haben richtig gehört: das Warten auf den Tod. Wann immer ein Menschenkind geboren wird, ist eines gewiss: Dass dieses Leben nicht bleiben wird. Entwicklung kann nur geschehen, wenn es Abschied gibt. Das wissen wir geistig schon immer – auch wenn wir das gerne nicht wahrhaben wollen.
Die Regel des heiligen Benedikt formuliert dieses letzte Warten dramatisch: Den drohenden Tod sollen die Menschen sich täglich vor Augen halten. Da kann man Angst bekommen. Manche Menschen gehen in die Lebensangst. Sie trauen sich nicht zu leben, weil es ja eh alles endlich ist.
Es wäre aber auch möglich, diese Bewertung umzudrehen. Gerade wenn etwas endlich ist, wird es kostbar. Manche Menschen können nur arbeiten, wenn sie einen Termin vor sich sehen. Im Englischen nennt man das „Deadline“. Was für ein treffender Begriff. Dahinter steht die Erkenntnis, dass man nicht rückwärts leben kann. Wir wünschen uns das: einmal wieder von vorne anfangen und dann alles vermeintlich besser zu gestalten. Das ist eine Illusion. Wir haben nur den Augenblick, in dem wir wirklich handlungsfähig sind. Das scheint wenig zu sein. Unsere Vergangenheit ist unveränderbar und unsere Zukunft ist unabsehbar. Uns bleibt: Aus der Vergangenheit zu lernen: Das Gute wertschätzen und bewahren, das Vertane in Versöhnung ändern. Achtsam unsere Zukunft zu sein. Im Jetzt gute und nachhaltige Entscheidungen zu treffen.
Die Angst vor dem Ende, dem Tod ist uns eingeschrieben. Sie löst sich nicht, wenn wir flüchten. Vielmehr wäre es eine Möglichkeit, das Zeitliche wirklich zu segnen. Also in innerer Versöhnung den Weg zu gehen … bis zu seinem Ende.
Deshalb zum Schluss meiner Überlegungen:
Warten auf Erlösung
Menschen in der Mitte des Lebens stellen sich die Frage, was denn da noch kommen kann. Wir finden uns in einem Lebensnetz wieder, in dem die meisten Verbindungen allzu fest verknüpft sind. Lebensnetze halten, aber sie können auch einengen.
Alles ist relativ – alles ist bezogen und verbunden. Es gibt kein Entrinnen, wir sind immer gesehen. Eine Vorstellung, die eher verunsichert. Aber: wir sind auch geborgen in allem, was ist.
Es stellt sich dann auch die Frage, ob wir es wagen, aus dem „Bestehenden“ auszusteigen und uns in eine andere Dimension vorzuwagen. Menschen, die glauben, gelten als widerstandsfähiger. Sie können Lebenskrisen besser bestehen, weil sie ihre
Seele verankert haben. Weltliche Lebensversicherungen sind immer endlich und begrenzt. Der Ausstieg aus dem vermeintlich „Wirklichen“ hin zu einem größeren Netzwerk kann das Leben erleichtern.
Erlösung ist das Loslassen auf etwas Größeres hin. Es ist eine lebenslange Übung. Viele kleine Schritte und Übungen reichern das Vertrauen an, dass hinter allem etwas wartet, auf das hin wir loslassen dürfen. Menschsein ist dann nicht Zufall, sondern Gewolltsein. Wer sich das im wahrsten Sinn des Wortes „erlebt“, der gestaltet sein Leben als Wartender. Dabei ist das Ziel des Lebens nicht etwa ein immer enger werdender Tunnel, sondern die Erfahrung von Größe und einer Weite, die das begrenzte materielle Dasein nicht leisten kann. Leben ist Übung. Warten in seinen verschiedenen Dimensionen ist keine Zeitverschwendung, sondern Übung, ins Wesentliche zu kommen.
Warten ist Leben. Wie kann es werden? Warten wir‘s ab!




Roman Weis