Predigt am Fest der Weihe der Lateranbasilika (09.11.2025)

von P. Johannes Sauerwald OSB

Die Weihe der Lateranbasilika in Rom hat eine so wichtige Bedeutung in der römisch-katholischen Kirche, dass ihr Weihetag im 4. Jahrhundert unter Kaiser Konstantin den Ablauf des Kirchenjahres unterbricht und den 32. Sonntag im Kirchenjahr verdrängt Warum misst die Kirche diesem Tag einen solch hohen Stellenwert bei?

Man könnte dafür kirchengeschichtliche Gründe nennen: die Lateranbasilika markiert den historischen Umbruch der bis dahin unterdrückten Glaubensgemeinschaft zur offiziellen Anerkennung durch den römischen Staat und seinen obersten Herrscher. Sie, die oft verfolgte religiöse Minderheit, wurde frei und musste sich nicht mehr verstecken.

Das fand ihren Ausdruck in einem repräsentativen neuen großen Kirchgebäude auf einem Grundstück, das der römische Herrscher Konstantin I. ihr geschenkt hatte. Sie wurde im Stile einer kaiserlichen Halle, einer Basilika gebaut, dem ersten öffentlichen Kirchenraum, in dem der Bischof von Rom eine sakrale Feier mit den Gläubigen beging. Das blieb so, bis der Papst im Mittelalter in den Vatikan umzog und dort den Petersdom errichten ließ, der die zentrale Leitungsaufgabe des Papstes in der Weltkirche zum Ausdruck brachte.

Es geht allerdings bei diesem Fest nicht um das Gebäude, sondern um ein Wesensmerkmal der Kirche als ganzer: um die Mitte des Daseins versammelt zu sein, auf sie ausgerichtet zu sein. Sich auf Gott ausrichten können wir auch allein, zu Hause, doch es zusammen mit Schwestern und Brüdern im Glauben zu tun ist noch etwas anderes. Die Gemeinschaft führt die Einzelnen zu einer Einheit zusammen, so als ob ein Körper zusammenwächst. Das Individuelle bleibt, aber es wird wie zu einem Gewölbe zusammengefügt. Dann geht vom unsichtbaren Schöpfer der Welt eine Kraft aus, die wir sonst nicht empfangen. Dafür braucht man einen Raum. Eine Kirche ist ein Tempel, ein Gotteshaus, eine Kultstätte.

Bleiben wir bei dem Wort Tempel. Wir Deutsche meinen mit Tempel zwar in der Regel das nicht-christliche Heiligtum, aber im Ungarischen z. B. heißt Kirche „Templom“. Auch im Judentum ist „Tempel“ eine übliche Bezeichnung vor allem für das frühere Hauptheiligtum in Jerusalem, der Hauptstadt des israelitischen Volkes.

Die 1. Lesung aus dem Buch Ezechiel ist einer Vision vom erneuerten Tempel in Jerusalem entnommen. Heute hören wir daraus einen kurzen Ausschnitt. In ihm geht es nicht um Architektur ähnlich dem zerstörten salomonischen Tempel. sondern um eine neue Kultstätte für das heimgekehrte Volk Israel, das sich nach langem Exil im runtergekommenen Heimatland wieder zurechtfinden muss. Seht einen neuen Tempel vor Euch, will er sagen, Gott macht einen neuen Anfang, öffnet euch seinem Willen.

Es ist ein einfaches, aber schönes Bild, das der entrückte Prophet sieht. Nicht die Pracht des Bauwerks und seiner Anlage, das Außergewöhnliche, wird hervorgehoben, sondern seine Bedeutung für die gesamte Schöpfung. Denn von ihm aus ergießt sich das Lebenselement der Erde, das Wasser, in die Welt. Der Tempel ist die Stelle, wo aus der Tiefe eine Quelle entspringt. Eine Verbindung zwischen Gott und dem Lebensbereich des Volkes entsteht.

Wo Gott wohnt, tritt neues Leben hervor. Quellen galten und gelten in manchen religiösen Traditionen als heilige Orte, die man aufsuchte, um dort zu beten und zu opfern. Wenn man beschreiben will, warum es die Menschen zu Gott zieht, dann wird gerne das anschauliche Bild von der Quelle und vom Wasser benutzt.

Sofort kommen mir Bibelstellen in den Sinn, z. B. Jesu Worte im Johannesevangelium, der zur Frau aus Samária sagt: „Wer von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben, vielmehr wird das Wasser, das ich ihm geben werde, zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt.“ (Joh 7,38). Welch ein Versprechen! Was könnten wir uns mehr wünschen!

Oder die Stelle aus dem Hohen Lied, die den Bräutigam zu seiner Geliebten sagen lässt: „Die Quelle des Gartens bist du, ein Brunnen lebendigen Wassers!“ (Hl 4,15). Hier spricht die Liebe. Austausch im Nehmen und Geben – das ist Leben. Was man selbst in eigenen Worten kaum zu sagen wagt, findet in diesem Bibelzitat einen verdichteten Ausdruck.

Soweit die biblische Aussage. Was hat sie uns heute zu sagen?

Wie vom Tempel das Leben der Vegetation in der Nähe des Flusses genährt wird, es fruchtbar macht und das Tote Meer mit frischem Wasser auffüllt, so wirkt die Gegenwart Gottes heilsam auf die Versammelten ein, – im Gottesdienst, in der Anbetung, dem Klagen und Loben, in Blicken und Gebärden, im Hören, Sprechen und Singen. Dabei geht etwas in uns vor. Die Liturgie wird durch das gemeinsame Gebet und das der einzelnen Personen empfänglich für das Erbarmen Gottes, sie kann spüren, dass sich der Erbarmende ihnen zuwendet. Wir sagen Du zu ihm und erhalten im Hören auf sein Wort Orientierung für das Wirrwarr des Alltags. Wir können damit etwas anfangen, weil sein Wille uns anregt, neue Einsichten provoziert, und das prägt die Gemeinde. Der Gebetsgeist durchdringt und beseelt ihr Inneres wie fruchtbare Nässe. Noch mehr: Gottes Geist wirkt sich auch auf ihr Denken und Handeln aus. Die Liturgie hat ein großes Potential, man muss es nur ausschöpfen. „Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Quellen des Heils“, heißt es im Buch Jesaja (12,3). In der Gemeinschaft des Glaubens können die Menschen es erleben. Von der Feier geht eine Ausstrahlung aus, die durch nichts anderes ersetzt werden kann.

Gerade in einer Zeit, in der viele Menschen die Kirche verlassen haben, keinen Zugang zu ihr finden, Kirchen umgewidmet oder abgerissen werden, hängt viel davon ab, ob die Liturgie so gestaltet ist, dass Freude spürbar wird.

Ich erinnere mich an Kindergottesdienste vor vielen Jahren im Mutter-Kind-Freizeitheim St. Altfrid in Berlar. Die meisten Kinder waren noch nicht im Schulalter, also haben sich die Erzieherinnen etwas einfallen lassen, damit die Kleinen von der Sonntagsfeier angesprochen wurden. Sie bauten ein Tanzspiel ein zu dem Lied: Gottes Liebe ist wunderbar, so groß, so hoch, so tief, so weit…. Zum Gesang kamen Bewegungen, sie drehten sich erst im Kreis, und als Gottes Eigenschaften besungen wurden, beugten die Kinder sich nach unten, streckten sich nach oben, breiteten die Arme und Hände aus und formten eine große, sich weitende Brust. Wie selbstvergessen sie das machten… wie sehr sie in ihrem Gesang, in ihren Gebärden drin waren.  Sie haben alle Erwachsenen in diesem Moment verzaubert, verwandelt, das war Liturgie, in der echte Freude spürbar wurde. Liturgie aus Freude vertreibt die Griesgrämigkeiten, die Langeweile und den Stumpfsinn.

Natürlich begegnet uns Gott nicht nur im Gottesdienst, er ist auch im Krankenzimmer, in einer Notunterkunft präsent wie auf einem Berggipfel oder einer Parkbank.

Wir selbst sind in seinen Augen ein heiliger Tempel. Gott braucht keine Kirchen, aber wir brauchen Orte, die anders sind als Wohnhäuser, Allzweckhallen oder Supermärkte. Räume, in denen wir ihm dienen können und der Seele liebenswürdige Lebendigkeit vermittelt wird. Kirchen werden gebaut als ein Hilfsmittel, das das Herz der Menschen zu öffnen vermag für die erlösende Macht eines Wesens, das uns alle übersteigt und über das Universum hinausführt. Vielleicht können alle, die sich mit dem Glauben schwertun, beim Besuch einer Kirche oder eines Gottesdienstes ahnen, dass sie nicht allein sind in dieser Welt und von etwas Größerem umfangen werden.

Heute kann uns das heutige Fest dankbar werden lassen dafür, dass es einen Ort gibt für die heilende Gegenwart Gottes. Die Lateranbasilika weitet unseren Horizont und verbindet die weltweite Gemeinschaft der Gläubigen. Dadurch wird unser Glaube bereichert, vertieft und animiert uns, sie zu schätzen, sich mit ihr auseinanderzusetzen und die Einheit zu pflegen.