Interview mit P. Erasmus zum Singen der Mönche

Nachfolgend dokumentieren wir ein Interview, das unser P. Erasmus, erster Kantor und Subprior der Abtei, mit unserem Oblaten Ulrich Müller für die Zeitschrift „Die Gemeinde“ geführt hat.

Erschienen in: DIE GEMEINDE 09/21, mit freundlicher Genehmigung des Oncken Verlags / Blessing4you GmbH, Kassel/Stuttgart

Das Singen der Mönche

Wie das Stundengebet den klösterlichen Alltag strukturiert

Ungefähr 2,5 Stunden pro Tag verbringen Mönche und Nonnen mit gemeinsamem Singen. Pater Erasmus Kulke OSB, erster Kantor und Subprior der Abtei Königsmünster in Meschede, erläutert im Gespräch mit Ulrich Müller, wie ihn das von innen her prägt.

Das Stundengebet ist für euch Mönche wesentlicher Bestandteil des Lebens. Vier- bis fünfmal pro Tag trefft ihr euch, um gemeinsam Psalmen zu singen. Warum so oft?

Für uns Benediktiner ist die Beziehung zu Gott wichtig, die wollen wir pflegen. Ihr wollen wir einen großen Teil unserer Zeit widmen. Die festgelegten Zeiten helfen uns, damit das nicht untergeht in dem, was man sonst alles zu tun hat. Und: Singen formt die Gemeinschaft.

Ist das Stundengebet denn jetzt singen oder beten?

Beides. „Wer singt, betet doppelt“, sagt Augustinus. Beim Singen ist eben nicht nur der Verstand angesprochen, Gesang erreicht auch unsere Emotionen, er berührt mich viel tiefer. Beim Singen bin ich intensiver beteiligt, im Idealfall mit dem ganzen Körper.

In Psalm 98 heißt es: „Sing dem Herrn ein neues Lied“. Was ist die neueste Melodie, die ihr im Repertoire habt?

Sonntags zum Schluss der Messe singen wir schon neue Lieder aus dem Gotteslob. Aber ansonsten stehen wir natürlich eher in der Jahrtausende alten Tradition des Psalmengesangs – und damit in der Tradition Jesu, der als Jude auch die Psalmen gebetet hat. Das „neue Lied“, das wir singen, das ist das Lied der Auferstehung. Das ändert alles!

Bleibt ihr nicht im alttestamentlichen Denken stecken, wenn ihr vor allem Psalmen singt?

Eigentlich nicht. Am Ende jedes Psalms beten wir ja „Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem heiligen Geiste“. Und Jesus selbst deutet immer wieder Schriftstellen aus dem Alten Testament als Verheißung auf sich. Die Kirchenväter sagen: In den Psalmen hören wir Vox Christi, also entweder spricht Jesus selbst, oder der Leib Christi, die Kirche – oder es sind Worte über Christus. So kann man neben dem ursprünglichen Sinn der Psalmen (wir wollen den Juden nichts wegnehmen) überall christologische Anklänge entdecken. Außerdem gibt es noch die Cantica, also Lieder aus dem Neuen Testament, und neutestamentliche Lesungen.

Seit 1998 bist du Mönch. Wird das nicht langweilig, immer dieselben Psalmen zu singen?

Klar: Manchmal droht eine gewisse Routine, und man schweift gedanklich ab. Aber Teresa von Avila sagte mal sinngemäß: Es geht nicht ums Denken, es geht ums Lieben. Ich versuche immer wieder, mit ganzem Herzen dabei zu sein. Bei Psalmen, die ich sehr mag, gelingt das natürlich leichter.

Hast du einen Lieblingspsalm?

Für mich ist Psalm 139 einer der schönsten.

Der Psalmengesang ist eher repetitiv und schlicht, geprägt durch simple zweizeilige Melodiemodelle („Psalmtöne“). Ist die Eintönigkeit Absicht?

In der Messe gibt es gregorianische Gesänge auf Latein. Die sind sehr kunstvoll auskomponiert. Aber das Stundengebet, der deutschsprachige Psalmengesang, ist in der Tat eher schlicht. Das ist dem meditativen Charakter geschuldet. Das ist im Grunde eine Art Atemmeditation, aber mit relativ viel Text.

Könnt ihr beim Singen die Textmenge der Psalmen überhaupt verarbeiten?

Bei den vielen Psalmen, die wir täglich singen, kann man nicht bei jedem einzelnen Vers bewusst dabei sein. Aber es geht auch eher darum, dass man die Psalmen meditiert, dass man sie (im Sinn von Ps. 1, 2) verinnerlicht. Dass man sie irgendwann in- und auswendig kann. Dann prägt einen die Heilige Schrift auch von innen her, oft unbewusst – und im Alltag kommt einem dann zum Beispiel auf einmal ein passender Psalmvers in den Sinn.

Was macht ihr mit den Rachepassagen in den Psalmen?

Wir klammern diese Stellen aus, weil sich heute viel damit schwertun. Das erfordert eine theologische Auseinandersetzung, damit man das einsortieren kann. Letztlich wird aber in diesen Passagen die Rache und die Sorge für die Gerechtigkeit Gott überlassen.

Stört es dich als Kantor, wenn Mitbrüder schief singen oder die Tonhöhe nicht halten können?

Ja, das tut manchmal schon in den Ohren weh. Doch nicht jeder Mitbruder ist gleich musikalisch. Hier zeigt sich aber auch die aktuelle Stimmung in der Gemeinschaft. Wenn viele müde sind, sackt der Ton ab. „Choralsingen ist zu 80 % hören“ heißt es immer: Ich muss mich selber wahrnehmen, ich muss beim gemeinsamen Singen auf die anderen hören. Und gemeinsam hören wir auf Gottes Stimme. Der Hl. Benedikt sagt, dass „Herz und Stimme im Einklang“ sein sollen (RB 19,7). Und er meint da vor allem die Stimme Gottes, in die wir mit unserem Herzen einstimmen.

Wie singt ihr unter Corona-Bedingungen?

Derzeit sind bei den Stundengebeten leider Besucher ausgeschlossen. Das tut uns sehr leid. Aber es gibt einen Livestream unter koenigsmuenster.de. Bei der Messe tragen wir alle Maske und nur die Schola (die Vorsänger) singt. Es geht zurzeit nicht anders.

In Meschede gibt es ja auch eine Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde. Steht ihr in Kontakt?

Ja, Pastor Pierre Diekena war kurz nach seiner Einführung mit seiner Frau bei uns im Refektorium zum Abendessen. Auch bei anderen Gelegenheiten, etwa Bibelwochen, kooperieren wir. Wir sind sehr ökumenisch eingestellt.

Was hörst du privat für Musik?

Zurzeit Operetten! Darauf bin ich erst Anfang des Jahres gestoßen. Vorher konnte ich damit gar nichts anfangen. Mich begeistert dabei die Leidenschaft der Sänger*innen! Das hat mich neu ermutigt, im Chorgebet die Leidenschaft für Gott zum Klingen zu bringen.

Ulrich Müller war 2008-2020 Ältester der EFG Gütersloh. Seit 2016 ist er Benediktineroblate der Abtei Königsmünster. www.ulrich-mueller.com