40 x Hoffnung (29/40 – Montag der 5. Fastenwoche)
Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.
Der innere Anstoß zu einer „Fastenzeit“, die in fast allen Religionen der Welt eine Rolle spielt, ist das Gefühl, in die falsche Richtung zu laufen, innehalten zu müssen, weil Kurskorrektur fällig ist. Die Grundfrage dabei lautet: Bin ich gerade dabei, irgendwen oder irgendwas zu so etwas wie meinem „Gott“ zu machen, was überhaupt nicht verdient, mir Richtung und Ziel meines Lebens vorzugeben, etwas, das mir eigentlich fremd ist und absolut nicht zu mir passt? Deutlicher formuliert: Ist das, worauf ich mich im letzten verlasse, wirklich verlässlich oder nur schale Selbstberuhigung, – das, was man früher einen „Götzen“ nannte, Vertröstung statt Hoffnung? In diese Richtung zielt der Appell von Silesius:
Halt an, wo läufst du hin.
Der Himmel ist in dir,
Suchst du Gott anderswo
Du fehlst ihn für und für
(Angelus Silesius, 1624 – 1677)
Vielleicht war es ein ähnlicher Gedankengang, der Jesus für 40 Tage in die Wüste getrieben hat, an einen Ort, wo ihn nichts ablenkte, wo er ausschließlich mit sich selbst und seiner Wirklichkeit konfrontiert war – und dabei seinen wirklichen Gott fand: „Er lebte bei den wilden Tieren und die Engel dienten ihm.“
Was Jesus in der Wüste lernte? – Wir hörten es gerade: Wo mich die „wildesten Tiere“ bedrohen, sind die „stärksten Engel“ an meiner Seite. Gott ist keine billige Vertröstung, sondern der verlässlich tragende und hoffnungsstarke Grund meines Daseins. – Friedrich Hölderlin hat das so ausgedrückt:
Nah ist
Und schwer zu fassen der Gott.
Wo aber Gefahr ist, wächst
Das Rettende auch.
Die Situation der „Wüste“, in die es Jesus verschlagen hat, ist unserer augenblicklichen Befindlichkeit nicht fern: Jedenfalls gibt es allerorten Bedrohungen durch „wilde Tiere“: Krieg, Rassismus, Klimakrise, weltweite Fluchtbewegungen, Diktatoren, wirtschaftliche Unsicherheit, Unglaubwürdigkeit und Orientierungslosigkeit in Kirchen und Religionen …
All das legt die „Versuchung“ nahe, bei irgendwelchen scheinbaren Schutzmaßnahmen Zuflucht zu suchen, die vordergründig Sicherheit bieten, aber in Wirklichkeit das Ganze erst richtig schlimm machen. Dann geistern auf einmal buchstäblich „satanische“ Sätze durch die Welt wie diese:
- „Ein starker Mann muss her, der endlich draufhaut.“
- Wer nicht so ist wie ich, hat hier nichts zu suchen.“
- „Schmarotzende Fremde sind eine Bedrohung.“
- „Die anderen sind schuld.“
- „Wer am längeren Hebel sitzt, hat Recht.“
- „Misstraue jedem außer dir selbst.“
Was solchen zerstörerischen und brandgefährlichen Sätzen entgegensetzen, wenn sie aus allen Ecken auf uns herunterprasseln und anfangen, uns mitzureißen und zu ergreifen?
Vielleicht ist die augenblickliche Situation vielfältiger Bedrohung auch eine Chance: Indem wir merken, dass Vieles, auf das wir uns verlassen möchten, nicht trägt, tritt zutage, was tatsächlich Kraft hat. Ent-täuschung macht den Blick frei für das, was keine Täuschung ist und deshalb hoffen macht.
Eine derartige, zur klaren Sicht verhelfende Ent-täuschung zielte offensichtlich Angelus Silesius an, als er appellierte: „Halt an, wo läufst d hin.“
Wer sich nicht zudröhnen lässt und selber zudröhnt mit den oben zitierten Höllensätzen, wird hören, dass es dahinter andere Sätze gibt, solche, die zunächst ganz leise daherkommen und deshalb in der Gefahr sind, überhört zu werden.
Sie lauten beispielsweise:
- „Angst ist ein schlechter Ratgeber.“
- „In dir steckt, genau wie in jedem Menschen, ein guter Kern.“
- „Jeder Augenblick trägt in sich die Kraft, ihm gerecht zu werden.“
- „Ich bin von meinem ersten Atemzug an ein geliebtes Wesen.“
- „Liebe ist stärker als der Tod.“
- Oder eben: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“
Wer solchen Sätzen Gehör und Wirkung verschaffen möchte, kann beim niederländisch-österreichischen Seelsorger und Dichter Joop Roeland in die Lehre gehen. Der hat beim biblischen Propheten Daniel abgeschaut, worauf es ankommt, wenn man sich nicht von dummem Gerede und hohlem Gebrüll täuschen und beirren lassen will: Daniel hat – ähnlich wie Jesus in der Wüste die wilden Tiere – die bis heute sprichwörtliche „Löwengrube“ lebend überstanden. – Joop Roeland beschreibt und deutet das so:
Obwohl es streng verboten war, kniet Daniel im fremden Land dreimal am Tag öffentlich nieder und richtet sein Gebet und seinen Lobpreis an seinen Gott. Um ihn davon abzubringen, wird er in die Löwengrube geworfen. – Dies sind die Namen der angsteinflößenden, lebensbedrohlichen Löwen, – damals wie heute:
Der Konsum-Löwe: Er brüllt nicht, er schmeichelt sich ein. Wer ihn aber streichelt, den wird er verschlingen.
Der Löwe der Anpassung: Er flüstert mit weicher Stimme dir zu: Falle nicht auf! Sei nie du selbst, sondern immer so, wie du glaubst, dass die andern, die du nicht magst, wollen, dass du bist. Zeige nie dein eigenes Gesicht, lebe von Leihgaben! Erhebe deine Stimme nicht gegen Unrecht, bringe nie eine Gegenstimme! Gehe den Menschen nach! Gehe ihnen nicht entgegen! So gehst du ein.
Der Löwe der Blendung: Sanft wischt er dir die Augen aus, und du kannst nicht mehr sehen: die Gewalt um dich herum und die Menschen, die leiden, und die Zärtlichkeit des kleinen Regens auf die Blätter des winzigen Baumes im Hof. Du bist geblendet und verloren.
Der Morgenlöwe der Macht: Er treibt dich an: Du kannst alles machen! Bau deine Karriere, erziehe deine Kinder zum Tode! Übersieh die selbstwachsende Saat und das Spielen der Kinder! Geh über Leichen – bis du selber gestorben bist.
Der Mittagslöwe der Resignation, der dir dauernd einredet: Da kannst du nichts machen, auf dich kommt es nicht an. Vergiss deine Träume, du hast geträumt von etwas, was es nicht gibt. So schläfst du ein, für immer.
Der Abendlöwe der Verbitterung und Verzweiflung: Er bringt dir Angst und Einsamkeit: Iss nur, sagt er, etwas anderes gibt es nicht! Und du nimmst dieses Gift.
Am nächsten Tag, so wird weiter über Daniel erzählt, findet man ihn in der Löwengrube „ohne die geringste Verletzung, denn er hatte seinem Gott vertraut“.
Zu beten bedeutet: Sein wie Daniel unter Löwen. Beten ist: Die Löwen nicht ernst nehmen, sondern ihnen entgegentreten und das Herz dorthin richten, wo alles anfängt und alles hinführt.
Und die Löwen, wo sind die Löwen? Die Löwen haben sich davongeschlichen. Du aber bist ohne die geringste Verletzung, denn du hast deinem Gott vertraut.
Gut möglich, dass Jesus Daniel im Sinn hatte – und alle, die in Wüsten und Löwengruben geraten, als er sagte: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!