Predigt bei der Primiz von P. Victor Chambi OSB (29.09.2024)

von P. Maurus Runge OSB

Les.: Num11,25-29 – Ev.: Mk 9,38-43.45.47-48

Wozu gibt es Priester? Diese Frage stellt sich vielen Menschen heute in einer Zeit vielfältiger Krisen und hausgemachter Skandale, die das Wesen des Priestertums weltweit betreffen. Wir könnten es uns jetzt einfach machen und diese Frage als eine rein europäische oder sogar deutsche abtun, aber ein genauer Blick auf die Dokumente der in dieser Woche beginnenden Weltsynode in Rom zeigt, dass viele Probleme die Kirche und auch das Priestertum in vielen Ländern unserer Weltkirche betreffen. Und auch der hl. Benedikt ist in seiner Regel ja äußerst skeptisch, Mönche seiner Klöster zu Priestern zu weihen und tut das nur nach reiflicher Überlegung.
Nichtsdestotrotz haben wir vor zwei Monaten Deine Priesterweihe, lieber P. Victor, gemeinsam mit fünf Seminaristen der Diözese Sumbawanga in Tansania als großes Fest gefeiert, wo die Freude und Begeisterung so vieler Menschen über eure Berufung spürbar war. Wie kann also das Priestertum heute als glaubwürdiger Dienst vor Gott und für die Menschen gelebt werden?

Die heutige Lesung aus dem Buch Numeri gibt uns da einige gute Anhaltspunkte. Sie führt uns in die Zeit der Wüstenwanderung Israels, sozusagen an den Anfang der Beziehung Gottes zu seinem auserwählten Volk, dieser so einzigartigen Liebesgeschichte. Mose, der Prophet und Führer seines Volkes, hat alle Hände voll zu tun und sehnt sich nach Entlastung – und er bekommt sie auch. Der Herr „nahm etwas von dem Geist, der auf Mose ruhte, und legte ihn auf die siebzig Ältesten.“ Mose merkt, dass er nicht alles allein bewerkstelligen kann, und er sucht sich Hilfe in erfahrenen Menschen.
Und dann passiert das Unglaubliche: zwei Männer, Eldad und Medad, treten auf, „auch sie redeten prophetisch im Lager“. Sie scheinen aber nicht ganz dazuzugehören, stehen eher am Rande, in der Sprache des Textes: „Sie waren nicht zum Offenbarungszelt hinausgegangen.“ Da bekommen es die etablierten Mitglieder der Gemeinschaft mit der Angst zu tun, und Josua macht sich zum Sprecher dieser Ängste und bittet den Mose, sie am Reden zu hindern. Und es zeugt von der Größe des Mose, dass er auf solche Ängste nicht eingeht, sondern im Gegenteil ausruft: „Wenn nur das ganze Volk des Herrn zu Propheten würde, wenn der Herr seinen Geist auf sie alle legte!“
Scheinbar sind wir nun wieder an unserem Ausgangspunkt – denn wenn alle Menschen zu Propheten würden, wenn wir wirklich daran glauben, dass alle Menschen geistbegabt sind, wozu braucht es dann noch eine besondere Gruppe?
Eine Antwort könnte sein: Es braucht Menschen wie Mose, die genau das ihren Mitmenschen zusagen: Ihr alle seid mit Heiligem Geist begabt, ihr alle habt Anteil an der königlichen, priesterlichen und prophetischen Würde Jesu, ihr alle seid berufen von Gott!
Es braucht Menschen, die das ihren Mitmenschen zusagen im Sakrament der Versöhnung und Krankensalbung, wenn sie selbst nicht mehr daran glauben, oder die Menschen im Sakrament der Eucharistie in Verbindung bringen mit dem Gott, der sich an uns austeilt!
Und es braucht Menschen, die anderen Menschen den Segen Gottes vermitteln, die Gutheißung des Menschen durch Gott – nichts anderes meint das lateinische „benedicere“ als das, anderen Gutes zu sagen! In der Abtei Mvimwa, der Heimatabtei von P. Victor, gibt es eine schöne Zeichnung auf einem Felsen, die darstellt, wie ein Mönch einen Besucher segnet – ein wahrhaft benediktinischer Dienst.
Genau zu diesem Dienst, lieber P. Victor, bist Du geweiht worden – anderen Menschen ihre gottgeschenkte Würde zuzusagen und ihnen dabei zu helfen, ihre Berufung zu entdecken.

In der Lesung und auch im Evangelium treffen wir auf Menschen, die genau das tun und die damit Überraschung im schon bestehenden Jüngerkreis auslösen. Es sind sog. „Fremdpropheten“, die vielleicht einen anderen Blick für die Dinge haben, die „immer schon“ so laufen, wie sie laufen, getreu dem Motto: „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Menschen, die uns, die wir oft betriebsblind geworden sind, durchaus etwas zu sagen haben. Grenzgänger, die herkömmliche Grenzen überschreiten und gerade so dabei helfen, dass Menschen zueinander finden können.

Lieber P. Victor, wer hätte vor sechs Jahren gedacht, als Du hier in Deutschland ankamst, dass Du an diesem Tag bei uns Primiz feiern kannst? Du hast auf Deinem Weg immer wieder Grenzen überschritten: Matanga, dein Heimatort – Mvimwa, die Abtei, in der du deinen Weg als Missionsbenediktiner begonnen hast – Meschede, wo Du schnell eine zweite Heimat gefunden hast – Hannover, wo Du in unserer Cella mitgelebt und die Feinheiten und Tücken der deutschen Sprache erlernt hast – Salzburg, wo du Theologie studierst – und wer weiß, welche Grenzen du in Zukunft noch überschreiten wirst? Eine neue Umschreibung von Mission meint genau das: Grenzen zu überschreiten auf andere Menschen hin. In diesem Sinne bist Du ein wahrer Missionsbenediktiner.
Und besonders danke ich Dir, dass Du uns hier in Deutschland allein durch deine Präsenz daran erinnerst, dass die deutsche Kirche nicht das Maß aller Dinge ist, sondern dass wir eingebunden sind in eine Weltkirche unterschiedlichster Kulturen und Menschen. In diesem Sinne bist Du ein Fremdprophet, der uns auf Dinge aufmerksam machen kann, für die wir betriebsblind geworden sind. Und der das nicht mit der Brechstange macht, sondern mit einem feinen, oft hintergründigen Humor, der sich auch selbst nicht zu wichtig nimmt. So wünsche ich Dir viele gesegnete Jahre priesterlichen Wirkens für Gott und die Menschen. Mögest Du auch weiterhin immer wieder Grenzen überschreiten und so verbindend wirken!