Menschen der Hoffnung: der gute Hirt (10.12.2024)
Gebet eines Schafes zum Guten Hirten
Lieber guter Hirt! In den Geschichten der Schafserinnerung bist Du ein großer Held, weil Du es gewagt hast, anders zu sein als die anderen Hirten. Die haben sich nicht viel um uns Schafe gekümmert, haben immer pünktlich Feierabend gemacht und wenn sich mal eins von uns verirrt hatte, musste es draußen bleiben. Schafen passiert es eben schon mal, dass sie die Zeit und den Weg vergessen und ihrem Eigensinn nachlaufen.
Einige meiner Schafsverwandten habe ich dann am anderen Tag nicht mehr wieder gesehen. Die Älteren sagen, dass sie ein wildes Tier erlegt hätte, andere meinen, die Schafe wären in einem großen Garten namens Paradies wiedergesehen worden, wo so viel Wiese und so leckere Kräuter wachsen, wie man sie hier auf den Weiden niemals finden kann. Das hättest Du auch immer erzählt.
Du – guter Hirt – hast immer nach uns gesucht. Du sollst sogar in eine dunkle Schlucht gegangen sein, wo es sehr unheimlich war, um ein verlorenes Schaf zu suchen. Und eine Geschichte gibt es, dass Du mit Deinem Wanderstock mit wilden Tieren gekämpft hättest, bis sie kleinlaut davongelaufen sind.
Schafe werden ja unterschätzt, dumm sind wir nämlich überhaupt nicht. Da handelt es sich um eine grobe Verwechslung: Wesen, die in der Lage sind, anderen zu vertrauen, sind alles andere als dumm. Sie zeigen, dass es nur im Miteinander geht. Und dass Wesen schlau sein sollen, wenn sie andere versklaven und nur an sich selbst denken, diese Menschenmeinung kann man als Mitglied einer Schafsherde nun wirklich nicht teilen.
Lieber guter Hirt, ich vertraue Dir die heutigen Hirten an. Dass sie für die Schafe da sein können. Wir werden ja in letzter Zeit immer weniger. Nicht dass die Hirten arbeitslos wären, aber sie bekümmern sich nur noch um die leeren Ställe und flicken Zäune, die niemand mehr braucht, weil die Wiesen wild wachsen, ohne von ordentlichen Schafen abgegrast zu werden. Die Hirten vergessen ihre Berufung. Lieber guter Hirt, schenke den Hirten von heute Hoffnung, dass es auch mit wenigen Schafen erfüllend sein kann, auf die Weide zu gehen. Unsere Herden sind überaltert und nur wenig hört man das übermütige Määhhen junger Lämmer. Das kann einen schon traurig machen. Auch die Hirten sind ziemlich ratlos. Sie lassen viele Fruchtbarkeitsanalysen machen, woran es liegen könnte, dass es keine Lämmer mehr gibt.
Du, guter Hirte, warst immer mit einer kleinen Herde unterwegs. 12 Schafe sagen die einen, 72 wäre es gewesen, meinen die anderen. Du hast daher alle gut gekannt und hast gewusst, was das einzelne Schaf für einen Charakter hatte und was es an Besonderem brauchte.
Naja – jetzt genug gebetet. Gleich geht es auf die Weide. Ich freue mich schon auf das frische Grün und das Herumstreichen im Gelände.
Mach‘s gut und denke bitte an die heutigen Hirten, die können es echt brauchen, dass da ein guter Hirte auch für sie da ist.
P. Abraham Fischer OSB