Predigt am Christkönigsfest (24.11.2024)
von P. Julian M. Schaumlöffel OSB
„Ich bin der König der Welt!“
Wer von ihnen, liebe Schwestern und Brüder, kann sich spontan an diesen Ausruf erinnern?
„Ich bin der König der Welt“ rief der frisch verliebte Leonardo de Caprio alias Jack Dawson im Filmklassiker „Titanic“ von 1997. Eine fast schon ikonisch gewordene Szene: Ganz vorne am Bug, der vordersten Spitze des Luxusliners stehend, die gewaltigen Wellen des Atlantik mit bis dahin nicht gekannter Geschwindigkeit durchbrechend, den Wind und die Gischt ins Gesicht peitschend, umklammert von seiner geliebten Rose und mit weit ausgestreckten Armen ruft Jack aus seinem tiefsten Innern heraus den so berühmt gewordenen Satz „Ich bin der König der Welt“. Dieses berauschende Gefühl von Glück und Macht, der so kraftvolle Hoffnungsschrei des Jack Dawson sollte nur wenige Stunden später für immer in den kalten Fluten des Atlantiks verstummen.
„Ich bin der König der Welt“
Auch heute hören wir diesen Satz fast täglich, vielleicht mit etwas anderen Worten, aber doch mit demselben Inhalt. Wir müssen nur auf das Weltgeschehen der letzten Wochen schauen, die Nachrichten verfolgen und hinhören. Da gibt es machtbesessene Herrscher hier wir dort, in Ost und West, die ihr Königtum und ihr Herrschaftsgebiet ausbauen wollen, ihre Macht mit Waffen demonstrieren, Gegner einfach ausschalten oder der Lüge bezichtigen, eigene Lügen verbreiten und sich ihren Herrscherstab aus einflussreichen und publikumswirksamen Marionetten aufbauen. Unliebsame Gefährten werden dabei eliminiert und Demokratien durch Putschversuche ins Wanken gebracht. Mit den Augen des Verstandes betrachtet sind es armselige Gestalten, wahnwitzige Irre, die ganz vorne am Bug des Schiffes stehen, berauscht von den Möglichkeiten ihrer Macht auf das Meer hinausschauen, den Eisberg des Untergangs noch nicht ahnend ihr „Ich bin der der König der Welt“ den vielen unter ihren Machtgelüsten leidenden Menschen entgegenschleudern.
„Ich bin wahrhaft ein König, doch mein Königtum ist nicht von dieser Welt“
Der König, den wir heute feiern, ist wahrhaft „Der König der Welt“ und doch ist sein Königtum gerade nicht in dieser Welt begründet, eben nicht von dieser Welt. Das nun unterscheidet ihn so fundamental von all den anderen Königen unserer Tage und jenen, die es gerne wären. Der Christkönig, dem unsere Abteikirche und unser Kloster geweiht sind, herrscht mit den Waffen der Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Liebe.
Daniel sieht in seiner nächtlichen Vision einen Menschensohn kommen, also einen, der wie ein Mensch aussieht, aber nicht von unten, sondern mit den Wolken des Himmels kommt, also zugleich das Göttliche in sich trägt. Diesem Menschensohn wurden Herrschaft, Würde und Königtum verliehen. Ihm dienen alle Völker, Nationen und Sprachen. Seine Herrschaft ist eine ewige, unvergängliche Herrschaft. Sein Reich geht niemals unter.
„Mein Königtum ist nicht von dieser Welt“
Schon beim Propheten Daniel klingt an, was diesen König besonders macht. Er ist gerade kein selbsternannter Herrscher, der sich seine Macht nehmen und dann ausbauen muss. Ihm, so sagt es Daniel, wurden Herrschaft, Würde und Königtum verliehen. Sein Königtum ist ein Additum, eine Gabe, eine Aufgabe, göttliche Aufgabe. Ein derart verstandenes Königtum, ein solcher König verleiht sich nicht selbst den Glanz, sondern glänzt von einer anderen Quelle her, auf die er stets bezogen bleibt.
Uns bekannte weltliche Herrscher scheiden damit weitgehend aus. Vielleicht wurde ein solch ursprüngliches Verständnis von Königtum letztmalig bei der nach ihrem Tod für ihre lebenslange Disziplin bewunderten Jahrhundertkönigin Elisabeth II. spürbar, denn sie verstand sich wirklich noch als Königin von Gottes Gnaden. Die Medien bemühten diesen Begriff mehrfach im Zusammenhang mit ihrer Regentschaft. Mich hat das sehr berührt. Ein auf Zeit verliehenes Amt von Gottes Gnaden. In diesem Verständnis begnadet Gott einen Menschen mit einem Können, beruft ihn dann in eine Verantwortung, von der allein ER wieder entbinden kann. Eine solche Berufung verleiht dem Berufenen Kraft und Stärke, lässt einen Menschen durch die Treue einer an ihn ergangenen Berufung glänzen. Wir kennen solche begnadeten Menschen. So betrachtet gibt es auch in unseren Tagen noch unzählige Königinnen und Könige, die in Würde eine Krone tragen – sichtbar nur für den, der sie zu sehen versteht und ihren Glanz zu deuten weiß.
„Mein Königtum ist nicht von dieser Welt!“ hallt die Antwort Jesu an Pilatus im heutigen Evangelium. „Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.“
Jeder, der aus der Wahrheit ist. Warum spricht Jesus gerade hier in der Verhandlung mit Pilatus, in der es um sein Schicksal geht, über Wahrheit? Was hat Wahrheit mit seinem Königtum zu tun? Pilatus ist darüber ebenfalls verwundert. In Vers 38, der die heute gehörte Perikope unmittelbar fortsetzt, folgt dann auch die bekannte Pilatusfrage:
„Was ist Wahrheit?“
Vermutlich war die Lüge schon damals genauso gesellschaftsfähig wie heute, um die eigenen Interessen durchzusetzen, Tatsachen zu vertuschen oder Dinge unter den Teppich zu kehren. Damals wir heute werden sich Herrscher dieser Funktion der Lüge bedient haben. Will Jesus dagegen vorgehen? Für welche Wahrheit will er Zeugnis ablegen?
Pilatus fragt Jesus nach seiner Identität als „König der Juden“. Wer wessen König ist, deckt Jesus mit seiner Gegenfrage auf: „Sagst du das von dir aus, oder haben es dir andere über mich gesagt?“
Sich hinter anderen verstecken ist gefährlich, denn dann verschwindet die Frage nach der Wahrheit hinter dem Interesse und der Berechnung. Wenn Menschen die Wahrheit verbiegen, je nachdem ob sie ihnen nützt, beginnen Gewalt, Terror und Missbrauch, sind die Demokratien unserer Tage in Gefahr.
Jesu Königtum, in dem sich die Weise offenbart, wie Gottes Königreich wirksam werden will, basiert auf uneingeschränkter Wahrheit und einem Hören auf SEINE Stimme.
Als Kirche, liebe Schwestern und Brüder, müssen wir im Grunde hinter die Erfahrung einer Gemeinschaft der Glaubenden zurück, um ganz persönlich, aus der Einsamkeit des unter dem Kreuz Glaubenden frei zu werden für die Wahrheit. Dort, unter dem Kreuz, wird der Glanz eines wahren und unvergänglichen Königtums sichtbar: Die sich verschenkende Liebe.
Liebe hat auch dem eingangs erwähnten Jack Dawson die Kraft und den Mut gegeben zu rufen: „Ich bin der König der Welt“.
Die Liebe des Christkönig, die Liebe unter dem Kreuz aber ist von ganz anderer Qualität…