Predigt am 32. Sonntag im Jahreskreis (08.11.2020)
von Br. Emmanuel Panchyrz OSB
Liebe Schwestern, liebe Brüder!
Laut orientalischem Brauch haben die Freundinnen der Braut bei einer Hochzeit den Auftrag, den Bräutigam mit Lampen – die Exegeten sprechen von ölgetauchten Lichtfackeln – zu empfangen und ihn in den Hochzeitssaal zur Braut zu geleiten. Es sind zehn an der Zahl. Der Bräutigam kommt in der Nacht – verspätet. Die fünf klugen haben vorgesorgt, sie haben Ölvorräte; die törichten bzw. die dummen haben kein Öl mehr. Sie müssen zum Krämer, um neues Öl zu besorgen. Diese kommen dann zu spät zum Hochzeitssaal. Die Tür ist bereits verschlossen. Sie rufen: „Herr, mach uns auf!“ Darauf die Stimme des Bräutigams: „Ich kenne euch nicht“. Die genug Öl dabei hatten, können zum Feiern in den Hochzeitssaal, den Gedankenlosen wird die Tür vor der Nase zugesperrt. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Unser gerade gehörtes Gleichnis, das für das Himmelreich, die gerechte Welt Gottes, steht, befindet sich in der großen Endzeitrede des 24. und des 25. Kapitels des Matthäusevangeliums. Eingerahmt ist es in die Beschreibung der Zerstörung des Jerusalemer Tempels und der Schilderung der Wiederkunft Christi. Bedeutend ist die Aussage, dass niemand die Stunde kennt, wann der Menschensohn kommen wird, nicht die Engel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater. Der Rahmen am Ende: Das große Weltgericht mit der Scheidung der Schafe von den Böcken. Dann folgt die Aussage des Weltenherrn: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Dazwischen zeichnet Matthäus vier Gleichnisse. Das heutige ist das dritte. Die jeweilige Hauptintention ist es, jetzt Christus zu begegnen. Wir werden aufgefordert, wie die klugen Jungfrauen wachsam zu sein, um dem Bräutigam zu begegnen. Der Bräutigam ist Christus. Dieser Christus kommt jetzt und überraschend.
Beim Lesen des Gleichnisses stellten sich bei mir auch Widerstände ein. Diese Widerstände waren auch mit Verstörung gepaart. Die klugen Frauen teilen nicht ihr Öl. Werden wir uns nicht gerade diese Woche, am Martinsfest, der christlichen Haltung des Teilens erinnern? So wie Martin von Tours seinen Mantel mit dem Bettler teilt, so sind wir als Christen eingeladen zu teilen. Das Öl möchte ich deuten als die Bereitschaft, dem kommenden Bräutigam entgegen zu gehen, den gegenwärtigen Christus zu empfangen. Diese sehnsuchtsvolle Offenheit und Bereitschaft, den gegenwärtigen Christus zu empfangen, kann nur eine innere Haltung sein. Diese innere Haltung will ein Leben lang in einem spirituellen Prozess eingeübt werden. Diese innere Haltung kann ich nicht an einen anderen Menschen weitergeben. Ich kann diese Haltung auch nicht dem Anderen überstülpen. Ebenso kann ich diese spirituelle Haltung nicht einfach beim Händler besorgen. Auf mich kommt es an.
So möchte ich heute das Gleichnis verstehen: Eine Ernsthaftigkeit und Eindringlichkeit wird gefordert in meiner persönlichen Nachfolge. Auf das Heute und auf das Jetzt kommt es an. Es ist eine klare Absage bezüglich all unserer Aufschiebetaktiken: demnächst irgendwann einmal. Wir wissen es ja alle schon, dass es auf das Jetzt ankommt. Das ist unsere innere Wachsamkeit. So beten wir jeden Dienstag im Morgengebet: „Herr, lehre uns zu bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Wann das sein wird, weiß keiner von uns. Uns bleibt heute allein der Schluss des Gleichnisses: „Seid also wachsam. Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.“
Mein zweiter Widerstand beim Lesen: Die Tür wird vor der Nase zugesperrt. Es gleicht einem kalten Fallen der Tür ins Schloss. Heißt es nicht bei Lukas: „Klopft an, und es wird euch geöffnet“? Und heißt es nicht in der Offenbarung des Johannes: „Siehe, ich habe vor dir eine Tür geöffnet, die niemand mehr schließen kann“? Wenn wir ehrlich auf unser Leben schauen, kennen wir das Phänomen der vertanen Chancen. Es ist das Unwiederbringliche, das nicht mehr Nachzuholende. Wir alle kennen das Zuwenig und das Zuspät. Das, was wir noch gerne gesagt oder getan hätten: Ein Wort der Liebe, eine Bitte um Vergebung. Ein Letztes: Es ist alles gut jetzt. Töricht sind wir alle. Wir kennen doch unsere ablaufende Frist. Der November mit seiner vergänglichen Stimmung erinnert uns daran. Wir können in unserem Leben nichts verschieben. Unsere Zeit steht nicht in unseren Händen. Und es bleibt ernst: Es gibt die Wahrheit des vertanen Lebens. Welche Lebensschule ergibt sich daraus? Wir müssen gegenwärtig sein und dem gegenwärtigen Christus begegnen. Gott selbst ist Gegenwart. Es bedarf unserer inneren Aufmerksamkeit und unserer Achtsamkeit und einer Beachtung unserer Innerlichkeit, um dem Göttlichen in unserem Leben zu begegnen. Eine Möglichkeit ist in unserer mönchischen Tradition die Vertiefung in das Wort Gottes. Der Christ wie der geistliche Mensch übt. Es genügt aber nicht nur, innerlich zu sein und „Herr, Herr“ zu sagen, sondern der lautere Ausdruck der spirituellen Haltung ist der Blich auf die Ränder des Lebens. Den gegenwärtigen Christus erkennen wir im Armen, im Entrechteten, im Kranken und im Fremden.
Ein dritter Widerstand: Die Stimme des Bräutigams: „ Ich kenne Euch nicht!“ Eines der unheimlichsten Worte der Evangelien, wie ich finde. Warum erkennt der Bräutigam sie nicht?
Ein wesentlicher Punkt im Gleichnis ist die Erwartung des Bräutigams. Kluge wie Dumme wollen den Bräutigam sehen. Das Erwarten meint doch die Hoffnung. Existentielle Hoffnung meint im Christlichen immer, dass uns über unseren Tod hinaus Heil geschenkt wird. Göttliches Heil steht jenseits unserer Todesgrenze. Der Hochzeitssaal steht ja für unser seelisches Erlösungsbild. Im Fest werden wir jenseits unseres Todes Gott von Angesicht zu Angesicht schauen. Heil will uns allen von Gott her geschenkt werden. Diese Zuwendung Gottes haben wir nicht in der Hand. Wir haben es nicht im Griff. Wir Menschen bleiben Empfangende. Wir dürfen Hoffnung haben. Diese Hoffnungsperspektive ist das Erkennungsmerkmal derer, die mit der Sache Jesu, seinem Reich, ernst machen. Und wenn nicht? Wenn wir diese Hoffnung nicht in uns schüren, dann verändern wir uns bis zur Unkenntlichkeit. Wir werden nicht erkannt! Auch im geistlichen Leben können wir uns bis zur Unkenntlichkeit verändern.
In Hinblick auf unsere Sterblichkeit möge unser Hoffnungsbild von Folgendem geprägt sein:
Das Lebenslicht unserer Lebenslampe wird einmal ausgelöscht, da die göttliche Sonne, die keinen Untergang mehr kennt, über unserer Existenz aufgegangen ist. Möge dieses Hoffnungsbild mich, uns alle hier trösten. Amen.