12. Dezember – Wo Hoffnung einen Raum findet
von Br. David Damberg OSB (veröffentlicht im Gruß 4-2025)
Verlorene Orte – so nennt man Häuser, Plätze, ja ganze Dörfer, die verlassen wurden und nicht mehr bewohnt sind. In den letzten Jahren haben diese Orte ein immenses Interesse bei vielen Menschen geweckt. YouTuber spüren sie auf und berichten darüber, es gibt Fernsehsendungen und Bücher zu diesem Phänomen. Diese sogenannten Lost Places sind überall zu finden, in jeder Gegend und jeder Stadt, denn überall gibt es Orte, die einfach zurückgelassen wurden.
Der Charme des Verfalls und die Spuren des Lebens
Wenn man solche Orte betritt, dann hat man oft den Eindruck, als wären die Menschen erst kürzlich gegangen; als säßen sie noch da, auch wenn der Verfall sehr deutlich sichtbar ist. Vielfach wächst Gras durch die Fliesen, die Dächer brechen langsam unter der Last der Dachziegel zusammen, und die Natur holt sich Stück für Stück das Terrain zurück.
Auch in Hannover gibt es zahlreiche solcher Orte: alte Industrieanlagen, alte Häuser, die schon lange niemand mehr von innen gesehen hat. Ich persönlich finde diese Orte faszinierend. Man spürt dort Geschichte und das Gefühl von gelebtem Leben, das ein Ende gefunden hat und nicht mehr fortgesetzt wurde – wo Menschen einfach gegangen sind. Dort ist etwas passiert; dort ist Lebensgeschichte spürbar.
Oft sind Lost Places Orte verlorener Hoffnung, an denen man zu leben hoffte. Doch aus irgendeinem Grund zeigte sich: Ein Leben ist hier nicht mehr möglich, ein Leben findet hier vielleicht sogar sein Ende. Lost Places markieren oft das Ende einer Hoffnung oder den Punkt, an dem man erkannte, dass man sie woanders weiterleben muss. Man musste ausziehen, umziehen; etwas anderes war nötig, die Hoffnung brauchte einen anderen Ort.
Die ungenutzte Station: Eine andere Art von Lost Place
Doch es gibt auch andere Lost Places, von ganz anderer Qualität, die wir ebenfalls in Hannover finden. Es gibt eine U-Bahn-Station, durch die noch nie ein Zug gefahren ist. Sie liegt unter dem Hauptbahnhof und ist im Grunde fast fertig. Auf Bildern sieht man den Bahnsteig und die Stellen, wo die Gleise sein sollten, doch noch nie hat ein Zug diesen Ort durchquert. Noch nie haben Menschen dort gestanden und auf die nächste U-Bahn gewartet.
Was immer auch dazu geführt hat: Dieser Ort hat den Menschen noch nie gedient. Es ist ebenfalls ein Lost Place, wenngleich man ihn nicht direkt mit den verlassenen Häusern vergleichen kann, in denen gelebt wurde und Leben stattfand. Die ungenutzte U-Bahn-Station hat einen anderen Charakter, erzählt aber, wenn man so will, ebenfalls von einer Hoffnung, aber eben eine, die nicht verwirklicht wurde. Eine Möglichkeit, die sich nicht zeigen durfte, ein Raum, der sich nicht öffnen konnte. Die Station existiert, und manchmal gibt es Führungen, doch sie wurde nie ihrem eigentlichen Zweck zugeführt.
Diese beiden Arten von Lost Places zeigen mir, dass Hoffnung einen Ort, einen Raum benötigt. Hoffnung ist nicht nur eine bloße Idee in meinem Kopf; ich muss ihr Raum in meinem Leben geben. Erst dann kann sie real werden und sich ihrerseits als ein Raum für mich öffnen.



Klinikum Hochsauerland